Willkommen |
|
myGully |
|
Links |
|
Forum |
|
|
|
10.04.18, 11:13
|
#1
|
Freigeist
Registriert seit: Sep 2010
Ort: München
Beiträge: 11.319
Bedankt: 23.577
|
Das müssen sie mir erst mal beweisen
Zitat:

Was die Leute so glauben! Man sollte wirre Spekulationen widerlegen, nicht pathologisieren. Michael Butter hat das erste gute Buch über Verschwörungstheorien geschrieben.
Von Tobias Haberkorn
Auf ein paar Dinge muss eine liberale Demokratie sich verlassen können. Zum Beispiel darauf, dass die Bürger nicht damit anfangen, sich wegen ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht oder ihrer sozialen Herkunft für höherwertig zu halten als andere. Oder darauf, dass auch Unternehmen bereit sind, durch Steuern zum Gemeinwohl beizutragen. Geht die Zustimmung zu solchen Ideen verloren, kann ein freiheitliches System erstaunlich wenig dagegen tun. Es kann die Leute ja schlecht zwingen, an seine Prinzipien zu glauben. Sonst widerlegt es seinen freiheitlichen Charakter selbst.
Im Grunde ist die Demokratie aber auch darauf angewiesen, dass morgen früh die Sonne wieder exakt zum berechneten Zeitpunkt aufgehen wird. Gesellschaften bleiben nur so lange stabil, wie ihr Wissen von der Welt einigermaßen stabil ist: Die Natur verhält sich im Großen und Ganzen so, wie Physikerinnen, Chemiker und Biologen sie beschreiben. Wenn eine Historikerin sich jahrelang durch Archive gewühlt und durch Fachtagungen geschlagen hat, dann fabriziert sie keine Ideologie, sondern historische Wahrheit.
Die berühmten Echsenmenschen
Man kann es deshalb ziemlich beunruhigend finden, wenn Studien davon sprechen, dass mehr als die Hälfte der amerikanischen Bürger mindestens einer Verschwörungstheorie anhängen. An der Methodik solcher oder ähnlicher Erhebungen darf man zweifeln: Wenn jemand ungefragt bei Ihnen anruft und fragt, ob die Welt von Echsenmenschen regiert wird, ob der Klimawandel ein Scherz ist und ob der Zusatz von Fluorid zum Trinkwasser noch andere Zwecke haben könnte als die Stärkung ihres Zahnschmelzes, dann rutscht Ihnen vielleicht auch mal ein Ja heraus. Folgt daraus, dass Sie von der Befragung amüsiert sind, oder dass Sie wirklich glauben, was Sie antworten?
Nichts ist, wie es scheint heißt der gerade erschienene Essay des Tübinger Amerikanisten Michael Butter über Verschwörungstheorien und ihre Anhänger. An Forschungen über Konspirationismus herrscht im Internet kein Mangel, aber die meisten Erklärungen, woher diese oder jene Theorie stammt und warum sie falsch oder gefährlich ist, sind oft selbst nicht sehr wissenschaftlich. Wissenschaftler, die sich mit diesem Thema auf eine Weise beschäftigen, die auch akademisch anerkannt wird, gibt es nur sehr wenige.
Der "paranoide Stil"
Die in etablierten Medien bis heute am häufigsten zitierte Untersuchung zu Verschwörungstheorien ist der Aufsatz The Paranoid Style in American Politics des amerikanischen Historikers Richard Hofstadter von 1964. Er wurde auch oft herangezogen, um Donald Trump und seine Wählerschaft zu erklären. Gerade die klassische Deutung des Konspirationsglaubens als eine geistige Pathologie will Michael Butter mit seinem Buch ein Stück weit revidieren. Sein Hauptargument ist, dass Verschwörungstheorien "stigmatisiertes Wissen" sind, von dem sich zwar mit wissenschaftlicher Gewissheit sagen lässt, dass es falsch ist – keine einzige der großen Verschwörungstheorien über die Weisen von Zion, die Illuminaten, die Ermordung Kennedys oder die Anschläge auf das World Trade Center hat sich je bewahrheitet. Mit dieser Zurückweisung hat man aber noch nichts über die psychologische Funktion für ihre Anhänger, über ihre kulturelle Bedeutung und ihre Geschichte erfahren.
Sie sind nicht alle verrückt
Verschwörungstheoretiker, erklärt uns Butter, seien nicht einfach verrückt. Die meisten von ihnen bauen ihre Weltwahrnehmung auf Prinzipien auf, die auch die sogenannten normalen Menschen teilen: menschliche Handlungsfähigkeit, Komplexität und Opazität. Der Lauf der Geschichte kann von Menschen beeinflusst werden, auch zwischen entfernten Ereignissen können komplexe Zusammenhänge bestehen und nicht alles ist so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Das Offensichtliche anzweifeln, Theorien spinnen, kognitive Dissonanzen ausblenden, all das sind Kulturtechniken, die auch seriöse Wissenschaftler anwenden. Die Stärke von Butters Buch liegt darin, eine methodische Kontinuität zwischen dem kritischen und dem konspirationistischen Geist anzudeuten, zugleich aber deutlich zu machen, dass zwischen ihnen ein Unterschied ums Ganze besteht.
Verschwörungstheoretiker zeichnen sich für Butter dadurch aus, dass sie diese Annahmen, von denen auch die meisten anerkannten Wissenschaften ausgehen, auf völlig unrealistische Weise verabsolutierten: Die Einflussmöglichkeiten einzelner Personen oder Gruppen halten sie für so immens, dass die Geschichte bis ins kleinste Detail durchgeplant sein muss. Die Rede davon, dass "alles mit allem zusammenhängt", verstehen sie nicht im Sinn von komplexen dynamischen Systemen, in denen der Zufall eine immense Rolle spielt, sondern im Sinn einer totalen kausalen Determination. Und schließlich ist der falsche Anschein für sie kein anfängliches Erkenntnishindernis, sondern das Instrument der Verschwörer, um die Welt im Schlaf der Unwissenheit zu wiegen.
Keine Panik
Wichtig ist Butter auch die Feststellung, dass nicht jeder irrationale Irrglaube gleich als Verschwörungstheorie tituliert werden sollte. Der Anteil der Menschen, die an Verschwörungen glauben, sei heute viel geringer als zu fast allen anderen Zeiten seit den Hexenprozessen. Bis 1945 war nicht nur die große Bevölkerungsmehrheit der meisten westlichen Länder, es waren auch deren Regierungen davon überzeugt, dass sie von verborgenen Mächten bedroht werden. In der heutigen Situation neigt der größte Teil der Öffentlichkeit eher zu Verschwörungstheoriepanik: dass verrückte Menschen in ihren Echokammern mit ihrem irrationalen Quatsch die Demokratie zerstören werden.
Die beunruhigende Botschaft von Butters Buch betrifft deshalb gar nicht so sehr die Leute auf YouTube, die mit Erzählungen darüber, dass die Erde eigentlich flach sei, gute Dollars verdienen. Wer ihnen folgt, der geht einer vielleicht exzentrischen, aber nicht per se gefährlichen Form von Unterhaltung nach. Problematisch ist eher, dass die Öffentlichkeit in immer mehr solcher kognitiven Blasen zerfällt, in denen Gleichgesinnte mit ihrem mehr oder weniger rationalen Weltbild, mit ihren Werthaltungen, Gerüchten und starken politischen Meinungen unter sich bleiben. Die Uneinigkeit darüber, wie die Welt und die Gesellschaft ganz grundsätzlich funktionieren, herrscht nicht nur zwischen Verschwörungstheoretikern und den Menschen, die der runden Tatsachenerde verbunden bleiben. Er besteht auch zwischen Letzteren. Und das ist für die Demokratie am Ende bedrohlicher.
[ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
|
Das Internet hat die Zahl der Spinner erhöht, finde ich. Die einen wittern überall eine Verschwörung, BRD GmbH und co.
Im Grundsatz stört mich ein Spinner nicht. Erst wenn diese versuchen anderen Menschen zu schaden oder Gewalt dazu kommt, dann hört für mich der Spaß auf....
|
|
|
Die folgenden 2 Mitglieder haben sich bei MunichEast bedankt:
|
|
Forumregeln
|
Du kannst keine neue Themen eröffnen
Du kannst keine Antworten verfassen
Du kannst keine Anhänge posten
Du kannst nicht deine Beiträge editieren
HTML-Code ist Aus.
|
|
|
Alle Zeitangaben in WEZ +1. Es ist jetzt 03:19 Uhr.
().
|