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Ein junger Afghane kommt nach Hamburg

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Ungelesen 30.12.17, 19:21   #1
MunichEast
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Standard Ein junger Afghane kommt nach Hamburg

Zitat:

Hekmatullah hat Stress
Ein junger Afghane kommt nach Hamburg und macht alles richtig, schafft die Schule, beginnt eine Ausbildung. Aber er sehnt sich nach Sicherheit – und seiner Mutter.

Von Parvin Sadigh

Hekmatullah will ein "guter Junge" sein. Und das ist er auch. Der 20-jährige Afghane ist vor drei Jahren allein in Hamburg angekommen. Mittlerweile spricht er gut Deutsch und ärgert sich, dass er es nicht noch viel besser kann. Er hat seinen Hauptschulabschluss geschafft und als Erster seiner Willkommensklasse gleich zwei Ausbildungsplätze angeboten bekommen. Er macht alles richtig – so wie es die Deutschen von einem integrationswilligen Flüchtling erwarten. Aber es strengt ihn unendlich an.

In der kleinen, aufgeräumten Jugendwohnung, die Hekmatullah sich inzwischen mit seinem 17-jährigen Bruder teilt, riecht es frisch, als hätte er eben noch Parfüm oder Deo versprüht. Stuhl, Tisch, Bett, ein großer Fernseher. Viel mehr gibt es in seinem Zimmer nicht. Ein Stockwerk tiefer haben die Sozialpädagogen ihr Büro, dort können sich die Jugendlichen Hilfe holen, wenn sie Probleme haben. Grundsätzlich müssen sie aber selbstständig klarkommen.

Hekmatullah schimpft auf die "schlechten Jungen" in seinem Haus, die nur ans Heute denken und nicht an die Chancen, die sie haben könnten. Einer hat seinen Ausbildungsplatz nach einem Monat wieder hingeschmissen, weil das Sozialamt schließlich fast genauso viel Geld zahlt. Ein anderer war in eine Prügelei geraten und hat sich über die deutschen Polizisten mokiert, weil die weder schlagen noch sich bestechen lassen. "Aber sie schlagen mit dem Stift", sagt Hekmatullah – mit einer Anzeige, die ihm später das Leben ruinieren könne.

Wenn ein Afghane schwere Verbrechen begeht, wie der, der in Freiburg eine Studentin vergewaltigt und ermordet hat, kann das Hekmatullah aus der Bahn werfen. Eine Zeit lang saß er in der U-Bahn oder lief durch die Straßen und dachte: "All diese Leute starren mich an und glauben: Das ist auch so ein schlechter Junge." Er weiß, dass die meisten aber gar nicht auf ihn achten. Doch manchmal beißt sich dieser Gedanke in seinem Kopf fest.

Seit Oktober lernt Hekmatullah in einer Spedition den Beruf des Servicefahrers; wenn er will, kann er in einem Jahr den Realschulabschluss machen und in eine Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechatroniker wechseln. Auch dafür hat er ein Angebot. Aber erst einmal macht er den Führerschein und schwitzt über den amtsdeutschen Fragebögen zur Theorieprüfung. Er begleitet die Fahrer auf ihren Touren, be- und entlädt die Wagen. Bald fängt die Berufsschule an, wo er endlich deutsche Freunde finden wird, hofft er. Denn das ist ihm bisher nicht gelungen. Die jugendlichen Flüchtlinge sind nie in eine reguläre deutsche Schulklasse gewechselt, in der Willkommensklasse blieben die Migranten unter sich. Und auf der Straße oder in der Bar jemanden kennenzulernen ist schwer: "Die Deutschen haben Angst vor Flüchtlingen", sagt er.
"Die Deutschen machen alles mit Maschinen"

Im Job könnte das anders werden. Hier fühlt er sich wohl. Er ist dankbar für den netten Chef, der ihm auch mal privat hilft, etwa bei der Wohnungssuche. Dessen Frau und Sohn arbeiten auch im Betrieb. Der familiäre, freundliche Umgang tut ihm gut. Die Kollegen loben ihn, weil er schnell versteht und mit anpackt. Über die schwere Arbeit beklagt er sich nicht. Im Gegenteil: Sein Vater war Lkw-Fahrer in Afghanistan. Dort gebe es ständig Unfälle, und die Ware, egal wie schwer, werde mit der Hand auf- und abgeladen. "Die Deutschen machen alles mit Maschinen", sagt er und lacht. Die Kollegen würden nicht mal eine leere, fünf Kilo schwere Palette allein vom Wagen heben. Der zarte Hekmatullah macht es, das geht schneller.

In Afghanistan sind die Straßen nicht nur wegen der Schlaglöcher und fehlender Regeln gefährlich, dort tyrannisieren die Taliban die Fahrer, erzählt er. Sein Vater hat Benzin für eine amerikanische Firma transportiert. "Das war haram." Verboten, nach Ansicht der Taliban. Deshalb bedrohten sie die gesamte Familie. "Sie kamen in der Nacht, wir Kinder hatten ständig Angst." Inzwischen sind sieben der neun Geschwister aus Afghanistan geflohen. Zwei Schwestern und zwei Brüder leben wie er in Hamburg und Umgebung. Aber die Eltern sind mit den zwei jüngsten Kindern noch dort. Der Vater hat seinen Job aufgegeben und fürchtet sich nicht mehr: Er habe sein Leben gelebt, sagt er.

Als er neu in Deutschland war, schwärmte Hekmatullah von seinem guten Leben in seiner Wohnung, im Fußballverein und im Physikunterricht, in dem er das erste Mal ein Labor sah. Er war sehr zuversichtlich.

Dann kam die Leere: Drei Monate warten zwischen Schulabschluss und Ausbildung. Drei Monate Zeit, um nachzudenken. "Wenn ich nicht arbeite, sind so viele Dinge in meinem Kopf, die mir Angst machen", sagt er.

Seit er die Ausbildung macht, geht es ihm wieder besser. Die größte Angst lässt sich auch beim Arbeiten nicht verdrängen: Sein Asylantrag ist abgelehnt worden, und eine Aufenthaltsgenehmigung bekommt er bisher immer nur für sechs Monate. Natürlich hört er von den vielen afghanischen jungen Männern, die inzwischen wieder abgeschoben werden. Seine Geschwister haben alle drei Jahre Aufenthalt bekommen, und sein Anwalt hatte ihm versichert, sobald er einen Ausbildungsplatz habe, werde alles gut. Aber es ist noch immer nicht gut, und er versteht das nicht. Warum ausgerechnet er? Er ist doch ein guter Junge.

Auch die Wohnungssuche stresst ihn: In fünf Monaten muss er aus der Jugendwohnung ausziehen. Mit 20 ist er schließlich kein Jugendlicher mehr. Doch seine Betreuerin war drei Monate lang krank und konnte ihm nicht helfen mit seinen Papieren, die in ihrem Büro liegen. Es schwirrt ihm der Kopf: Manche Wohnungen zahlt das Sozialamt, andere das Jobcenter. Er hatte schon eine Wohnung gefunden, aber nicht die passenden Papiere. Inzwischen ist sie vergeben.
Abitur – dafür ist das Leben zu anstrengend

Neben den großen stressen ihn auch die kleinen Probleme, etwa dass sein Zimmerfenster zu einer viel befahrenen Straße hinausgeht. Wenn er es öffnet, ist es zu laut zum Schlafen, wenn er es zu lässt, riecht es nach altem Essen. Die Belüftung in der winzigen Kochnische im Flur ist kaputt. Selbst zu kochen traut er sich nur selten, denn die Hammelgerichte, die seine Mutter ihm via Skype beibringt, riechen noch wochenlang danach. "Manchmal vergesse ich ganz zu essen oder esse immer Pommes, Burger, Pommes. Aber die machen nicht satt und kosten zu viel."

Mit 17, als er neu in Deutschland und in seiner Willkommensklasse an einer technischen Berufsschule war, wollte er Flugzeugtechniker werden. Ingenieur war schon immer sein Traumberuf, hat er damals gesagt. Aber das scheint lange her zu sein. Seine Freundin – auch eine Afghanin – geht aufs Gymnasium, das findet er toll. "Vielleicht kann meine kleine Schwester oder mein kleiner Bruder das Abitur machen. Wenigstens einer aus der Familie. Ich habe dazu nicht die Kraft." Das Leben ist zu anstrengend für ihn im Moment. Seine Freundin habe es einfacher: "Ihre Eltern sind bei ihr".

Hekmatullah sehnt sich nicht nur nach einem sicheren Aufenthalt, nach gesundem afghanischen Essen und einer ruhigen Wohnung. Er glaubt, all die Anspannung würde von ihm abfallen, wenn seine Mutter hier wäre. Die Brüder wollen einen Antrag stellen auf Familienzusammenführung für seinen noch minderjährigen Bruder. Nicht, dass die Mutter ihm so viel helfen müsste. Hekmatullah ist stolz darauf, dass er alles alleine organisiert, bei der Ausländerbehörde, der Handelskammer, beim Sozial-, und Arbeitsamt, auf Wohnungssuche. Für ihn und seinen kleinen Bruder. Aber er sagt: "Wenn Mutter und Vater da sind, dann bist du stark."

Er versteht, dass die Deutschen ihr individualisiertes Leben schätzen, aber sein Traum ist das nicht: "Ich wohne wie ein Deutscher, das ist nicht schwer, aber es macht mein Herz kaputt." Er sehnt sich nach der Geborgenheit der großen Familie – und danach, dass seine Eltern ihm sagen, was gut und was schlecht ist. Vielleicht hätte er dann etwas weniger Stress, ein guter Junge zu sein.

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Da es gerade Thema in allen Medien ist, der Mord in Kandel, hier ein Einblick in das Denken und Leben eines anderen Afghanischen Flüchtlings.
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