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11.10.24, 10:03
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Die Grünen sind noch nicht radikal genug
Zitat:
Umweltpolitik
Die Grünen sind noch nicht radikal genug
Die Grünen sind keine wirtschaftsfeindlichen Verbotsfans, ist Gastautor Felix Ekardt überzeugt. Ihre Forderungen seien nicht sehr extrem. Diskutieren Sie jetzt mit ihm.
Ein Gastbeitrag von [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
11. Oktober 2024, 10:14 Uhr

© [M] Alexander Hoepfner/?ZEIT ONLINE, Foto: Fellipe Ditadi/?Unsplash; Shubham/?Unsplash
Felix Ekardt forscht als Leiter der Leipziger Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik sowie Professor an der Uni Rostock zu Politikkonzepten für mehr Nachhaltigkeit. Er sucht anlässlich seiner oft sehr kontroversen Positionen die Diskussion mit den Leserinnen und Lesern von ZEIT ONLINE. Auch diesmal antwortet er direkt unter dem Artikel auf Leserkommentare. Diskutieren Sie mit!
Grünen-Bashing ist gerade ein Hauptteil der politischen Debatte, gerade beim Klimaschutz, aber auch sonst. Ohne dieses Bashing wären [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] und des Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) kaum denkbar. Die Debatte verliert sich allerdings schnell darin, über das Für und Wider einzelner realer oder vermeintlich grüner Politikprojekte zu streiten, etwa das umstrittene Heizungsgesetz. Dabei geht unter, dass die umfassende Grünen-Kritik von drei falschen Voraussetzungen ausgeht.
Zuerst ist da das allzu menschliche Kassandra-Problem: Klimawandel, Artensterben & Co. wurden nicht von den Grünen erfunden. [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] sind lediglich die Überbringer der schlechten Nachricht. Die Überbringer zu schlagen, wenn sie auf akuten Handlungsbedarf hinweisen, ist erwartbar wie sinnlos. Klimawandel und Biodiversitätsverlust verschwänden als Probleme nicht, wenn man die Grünen als Partei abschaffen würde.
Zweitens dominiert der irrationale Glaube die Debatte, dass sich die imaginäre "gute alte Welt" einfach beibehalten ließe. Also schön weiter mit billigem russischem Gas, wie es etwa das BSW gern hätte. Ein Zurück in eine Welt mit beliebig viel günstiger, fossiler Energie gibt es jedoch nicht – schon aus geopolitischen Gründen. Und so eindeutig toll war diese Welt auch keineswegs: Die massive Luftverschmutzung, die Landschaftszerstörung, die gewaltsamen Umsiedlungen, die vielen Krebs-Todesfälle und Kinder mit Atemwegserkrankungen aufgrund der Kohlenutzung zu DDR-Zeiten haben viele scheinbar schon vergessen.
Der dritte Irrglaube der Kritiker ist, dass Umweltschutz wirtschaftsfeindlich sei. Dabei wäre ein Festhalten an der fossilen Wirtschaft ökonomisch äußerst riskant. Will man etwa das Heizen dauerhaft bezahlbar machen, ist eine rasche Wärmewende sinnvoll, die steigenden CO?-Preise sollen genau dafür sorgen. Außerdem schaffen erneuerbare Energien und Wärmedämmung in der Summe mehr Arbeitsplätze und mehr Wertschöpfung, als es die Fossilen vermochten. Das ist wiederholt [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], auch für Ostdeutschland und die Lausitz als Kohleregion.
Wissenschaftlich gesehen ist zudem unstreitig: Die Kosten, die Folgen des Klimawandels zu managen, sind um den Faktor zehn oder mehr höher als eine anständige Klimapolitik. [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] kosten Abermilliarden. Noch schlimmer wird es, wenn wegen erwärmungsbedingter Nahrungs- und Wasserknappheit Klimakriege beginnen. Lässt man den Klimawandel einfach weiterlaufen, trifft dies vor allem die Ärmeren.
Die Grünen sind gar nicht so radikal
Sicherlich stimmen Bürgerinnen und Bürger dem zu, ergänzen aber sofort: Alle Maßnahmen müssen freiwillig sein, Klimapolitik muss ohne Verbote klappen. Aber: Regeln gehören zur Freiheit, denn nur so können viele Konflikte zwischen der Freiheit der einen und der Freiheit der anderen friedlich gelöst werden.
Auch wer Migranten und Migrantinnen strenger abschieben oder von vornherein draußen halten will – oder wer das Gendern verbieten will, wie in Bayern –, setzt auf Verbote. Und es gibt auch keine klare Grenze zwischen Verboten und Anreizsystemen. Der EU-Emissionshandel etwa beeinflusst zwar die Preise für verschiedene Energieträger, sein Kern ist jedoch ein hartes Verbot, mehr Emissionen auszustoßen, als das System gestattet.
Nach all dieser Verteidigung der Grünen muss man allerdings sagen: Aus wissenschaftlicher Sicht tun die Grünen sogar noch zu wenig beim Klima- und Biodiversitätsschutz. Sie sind gar nicht die radikalen Ökos, als die sie in der öffentlichen Debatte gebrandmarkt werden. Die [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] in wenigen Jahren, nicht erst 2050 oder gar später. Das verbleibende Treibhausgas-Budget für 1,5 Grad, oder selbst 1,7 Grad, haben Industriestaaten wie Deutschland sogar nach den aktuellen naturwissenschaftlichen Daten bereits jetzt erschöpft. Auch deswegen wird gegen die [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] beim Bundesverfassungsgericht geklagt.
Das Artensterben ist noch schlimmer
Eine Regierung unter grüner Beteiligung macht also nicht zu viel, sondern zu wenig Klimaschutz. Noch gravierender als der Klimawandel sind andere Umweltprobleme wie das Arten- und Ökosystemsterben. Dort sind die Belastungsgrenzen der Erde nach wissenschaftlich einhelliger Auffassung noch weit drastischer überschritten. Obwohl die UN-Biodiversitätskonvention seit 1993 den Erhalt der Biodiversität vorschreibt, geht der Biodiversitätsverlust weltweit und in Deutschland ungebremst weiter – wiederum trotz einer Ampel-Regierung. Auch neue EU-Vorgaben in diesem Bereich werden das Artensterben nur unzureichend bekämpfen. Denn sie arbeiten mit langen Fristen, vielen Ausnahmeregelungen und vagen Erfolgsverpflichtungen.
Was man den Grünen vorwerfen kann: Sie gehen zu vorsichtig vor. Ein Grund sind sicherlich die Koalitionspartner SPD und FDP. Doch auch bei den Grünen selbst wirkt es seit Längerem so, als würden sie ihre umwelt- und klimapolitischen Forderungen so ausrichten, dass sie niemanden im Lebenswandel stören und damit auch für eine breite Mitte akzeptabel sind.
Die sich anbahnende Habeck-Kanzlerkandidatur wird diese Tendenz wohl noch verstärken. Das mag erst einmal einleuchten: Man müsse eben realpolitische und keine ambitionierten Forderungen präsentieren, wenn man gewählt werden will. Nur erreicht man dann eben auch in der Sache wenig. Live zu besichtigen ist das auch in Baden-Württemberg, das seit 2011 einen grünen Ministerpräsidenten hat. Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht im Ländle weiterhin nur schleppend voran.
Falsch verstandene Zurückhaltung
Nur kann das ernsthaft das Ziel der Grünen sein? Irgendwie regieren, dann aber beim Kernthema Umwelt viel weniger erreichen als nötig? Auch die vage Hoffnung, man müsse nur langsam anfangen und werde dann irgendwann eine Art Hegemonie erreichen, wird eher widerlegt durch die aktuellen Wahlprognosen – und durch die sich für 2026 abzeichnende Abwahl der Grünen in Baden-Württemberg. Statt immer vorsichtiger zu werden, wie aktuell bei den Themen Wärmewende und Wärmepumpen, ist vielleicht die Flucht nach vorn Erfolg vielversprechender.
Das bedeutet, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Ich bin seit 1997 eine grüne Karteileiche, also Parteimitglied ohne wirkliche Aktivität in der Partei. Im Jahr 2013 habe ich als wenig in der Partei verankerter Kandidat für das Amt des Leipziger Oberbürgermeisters beworben – mit wissenschaftlichem Öko-Profil. Damals habe ich, auch weil ich keine Ambitionen auf eine Politikerkarriere hatte, viele ökologische Notwendigkeiten viel klarer angesprochen, als die Grünen es sonst tun. [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Das Ergebnis: Ich holte das bis dahin beste Ergebnis bei einer Personenwahl für die Grünen in Ostdeutschland.
Den Leuten reinen Wein einzuschenken und zugleich im persönlichen Verhalten sehr konsequent zu bleiben, könnte mehr Erfolg versprechen als falsch verstandene Zurückhaltung.
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So sehe ich das auch: Transparenz, die die Menschen verstehen, könnte allen in diesem Land helfen.
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