Profi
Registriert seit: Feb 2013
Beiträge: 1.841
Bedankt: 3.664
|
Wenn man die Industrie im Land halten will, braucht es mehr Windstrom“
Zitat:
Wenn man die Industrie im Land halten will, braucht es mehr Windstrom“
Die AfD will Windkraftanlagen abreißen. Das ist Unsinn, doch auch Politiker aus anderen Parteien äußern sich skeptisch zum Ausbau der Windenergie. Gibt es überhaupt realistische Alternativen?
Stefan Hajek
16.01.2025 - 06:11 Uhr
Der Wahlkampf geht in die heiße Phase, und die Töne werden schriller. Kaum ein Thema eignet sich in Deutschland besser zur Mobilisierung der Stammtische und Social-Media-Debatten als die Energiepolitik. Wärmepumpen und Elektroautos, Kernkraftwerke und vor allem Windkraft – zuverlässig triggert das Thema meinungsstarke Aussagen in allen Lagern.
Alice Weidel, die Vorsitzende der rechtsnationalen AfD, setzte am vergangenen Wochenende den bisherigen Tiefpunkt in der meist unsachlichen Debatte. „Ich kann euch sagen – wenn wir am Ruder sind: wir reißen alle Windkraftanlagen nieder. Nieder! Nieder mit diesen Windmühlen der Schande!“, schrie Weidel unter tosendem Beifall auf dem AfD-Parteitag im sächsischen Riesa in die Mikrofone.
Wahlkampfgetöse, Stimmenfang am rechten Rand, so könnte man das abtun. Doch Weidel ist nicht die einzige Politikerin, die sich zuletzt skeptisch gegenüber der Windenergie zeigte. In der Talkshow von Maybrit Illner (ZDF) nannte CDU-Chef und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, nach aktuellem Stand der Umfragen und Koalitionsoptionen der wahrscheinlichste neue Kanzler, die Windkraft kürzlich eine „Übergangstechnologie“, von der er hoffe, dass man sie bald wieder abbauen könne, wenn es etwas Besseres gebe, „weil sie [die Windmühlen] hässlich sind“, so Merz. Dieses „Bessere“ könne zum Beispiel Kernfusion sein, meint Merz.
Kurzfristig geht es Merz um die Stimmen der Zweifler und Bremser im Land; die will die Union nicht kampflos der AfD überlassen, was politisch legitim und ihr gutes Recht ist. Und es sind vermutlich viele Stimmen: Menschen, die trotz erdrückender wissenschaftlicher Evidenz noch immer am Klimawandel zweifeln. Andere, die meinen, dass Deutschland schon genug getan habe und andere – Indien, China vor allem – erstmal eine führende Rolle beim Klimaschutz übernehmen sollten. Leute, die Windräder ästhetisch unzumutbar finden, zumindest im eigenen Sichtfeld. Und Privatleute oder Unternehmer, die sich das billige russische Gas zurückwünschen. Davon gibt es auch in der SPD viele, bis weit ins linke Lager hinein.
Aber: Wie realistisch ist eine Energiewirtschaft in Deutschland mit weniger Windkraft überhaupt, was ist Wahlkampf, und was wären die tatsächlichen Alternativen?
Windenergie beschäftigt 130.000 Menschen
Die Windkraft ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, vor allem im Norden Deutschlands. Jüngsten Schätzungen zufolge arbeiten rund 130.000 Menschen in der Windenergiebranche, allerdings waren es 2016 noch knapp 160.000. Seit einigen Jahren ist die Zahl stabil. Mit Enercon, Siemens Wind Power, Senvion und Nordex haben mehrere Anlagenhersteller ihren Sitz in Deutschland; auch ausländische Wettbewerber wie Vestas aus Dänemark oder General Electric aus den USA betreiben Werke in Deutschland.
Zusammen mit ihren Zulieferern, den Projektierern und Betreibern der Anlagen generieren sie einen mittleren zweistelligen Milliardenumsatz pro Jahr. Mehrere deutsche Hochschulen haben sich zudem auf die Ausbildung von Windkraft-Ingenieuren spezialisiert. Viele bieten windspezifische Module in klassischen Ingenieursstudiengängen wie Elektrotechnik und Maschinenbau an, die Hochschulen Oldenburg, Bremerhaven, Kiel und Flensburg haben spezielle Masterstudiengänge „Wind Engineering“ im Programm.
Auch energetisch kann Deutschland nicht mehr auf den Strom aus Windkraftanlagen verzichten. Im Strommarkt ist die Windkraft inzwischen die bei weitem wichtigste Erzeugungsform: Mitte des Jahres 2024 waren 28.600 Windkraftanlagen an Land (onshore) mit einer installierten Leistung von zusammen gut 61 Gigawatt (GW) am Netz. Offshore, also auf dem Meer, waren per 30. Juni 2024 1600 Windenergieanlagen mit einer Leistung von insgesamt 8,9 GW in Betrieb, zusammen waren also rund 70 Gigawatt Windleistung am Netz.
Jede dritte Kilowattstunde Strom aus Wind
Nun weht der Wind nicht rund um die Uhr, vor allem an Land nicht, wie die beiden Dunkelflauten Ende 2024 zeigten, und je weiter weg von der Küste, desto geringer die Ausbeute der Anlagen. Fachleute rechnen mit knapp 4500 Volllaststunden pro Jahr auf See und mit etwa 2400 an Land (im Durchschnitt, die Bandbreite ist groß; an der Westküste sind es bis zu 3000, in Bayern oft weniger als 1800). Zum Vergleich: Ein Braunkohlekraftwerk kommt auf rund 7000 Volllaststunden pro Jahr. Insgesamt speisten die 70 Gigawatt Windleistung 2024 nach Berechnungen von Bruno Burger vom Fraunhofer Institut ISE in Freiburg 136 Terawattstunden (TWh) Strom in die Netze ein. „2024 war ein etwas schwächeres Windjahr als 2023“, sagt Burger, „da waren es noch 139 TWh.“
Der Anteil der Windkraft an der Stromerzeugung insgesamt stieg in den vergangenen Jahren aber kontinuierlich. Inzwischen ist Windkraft die wichtigste Stromerzeugungsform in Deutschland, noch vor der Kohle. 2024 kam ziemlich genau ein Drittel der deutschen Stromproduktion aus Wind.
Braunkohle-Kraftwerke lieferten 2024 noch 71 TWh oder 17 Prozent der Stromerzeugung 2024, acht Prozent weniger als im Vorjahr. Noch stärker sank die Stromproduktion aus Steinkohle: 24 TWh (5,8 Prozent des deutschen Stroms) bedeuteten ein Minus von 28 Prozent gegenüber 2023. Die Bruttostromerzeugung (inklusive Eigenverbrauch der Kraftwerke und Netzverluste) aus Stein- und Braunkohle lag laut Burger 2024 noch bei rund 108 TWh. „So wenig Kohlestrom hatten wir in Deutschland zuletzt vor knapp 70 Jahren, 1957“, sagt der Energiemarktforscher. Gaskraftwerke erzeugten 48,4 TWh, das waren 11,7 Prozent des Stroms.
Windstrom ist der günstigste Strom
Hinzu kommt: Windstrom ist vergleichsweise günstig. Zwar steigen Kapitalkosten und die Preise für Material und Personal – wie überall – auch beim Bau von Windkraftanlagen. Dennoch lag Onshore-Wind laut einer Untersuchung des Fraunhofer Instituts ISI mit Gestehungskosten von 4,3 bis 9,2 Cent je Kilowattstunde (kWh) am unteren Ende der Kostenskala; die Gestehungskosten umfassen Bau, Betrieb, Wartung und Entsorgung der Anlagen sowie die Kosten für Brennstoff oder Rohstoffe, die zur Strom-Erzeugung benötigt werden.
Offshore Wind schlug demnach 2024 mit 5,5 bis 10,3 Cent je Kilowattstunde zu Buche. Deutlich teurer ist die Stromerzeugung aus Biogas (20 bis 30 Cent je kWh), Braunkohle (15 bis 26 Cent) und Steinkohle (17 bis 30 Cent je kWh Strom). Gas und Dampf-Kraftwerke haben Stromgestehungskosten zwischen 11 und 18 Cent/kWh. Kleinere Gasturbinenkraftwerke für den kurzfristigen flexiblen Einsatz kommen auf 15,4 und 33 Cent.
„Wenn man die Industrie im Land halten will, braucht es mehr Windstrom“
Die AfD will Windkraftanlagen abreißen. Das ist Unsinn, doch auch Politiker aus anderen Parteien äußern sich skeptisch zum Ausbau der Windenergie. Gibt es überhaupt realistische Alternativen
Der Wahlkampf geht in die heiße Phase, und die Töne werden schriller. Kaum ein Thema eignet sich in Deutschland besser zur Mobilisierung der Stammtische und Social-Media-Debatten als die Energiepolitik. Wärmepumpen und Elektroautos, Kernkraftwerke und vor allem Windkraft – zuverlässig triggert das Thema meinungsstarke Aussagen in allen Lagern.
Alice Weidel, die Vorsitzende der rechtsnationalen AfD, setzte am vergangenen Wochenende den bisherigen Tiefpunkt in der meist unsachlichen Debatte. „Ich kann euch sagen – wenn wir am Ruder sind: wir reißen alle Windkraftanlagen nieder. Nieder! Nieder mit diesen Windmühlen der Schande!“, schrie Weidel unter tosendem Beifall auf dem AfD-Parteitag im sächsischen Riesa in die Mikrofone.
Wahlkampfgetöse, Stimmenfang am rechten Rand, so könnte man das abtun. Doch Weidel ist nicht die einzige Politikerin, die sich zuletzt skeptisch gegenüber der Windenergie zeigte. In der Talkshow von Maybrit Illner (ZDF) nannte CDU-Chef und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, nach aktuellem Stand der Umfragen und Koalitionsoptionen der wahrscheinlichste neue Kanzler, die Windkraft kürzlich eine „Übergangstechnologie“, von der er hoffe, dass man sie bald wieder abbauen könne, wenn es etwas Besseres gebe, „weil sie [die Windmühlen] hässlich sind“, so Merz. Dieses „Bessere“ könne zum Beispiel Kernfusion sein, meint Merz.
Was Trumps Attacken für die Offshore-Windindustrie bedeuten
von Florian Güßgen
Kurzfristig geht es Merz um die Stimmen der Zweifler und Bremser im Land; die will die Union nicht kampflos der AfD überlassen, was politisch legitim und ihr gutes Recht ist. Und es sind vermutlich viele Stimmen: Menschen, die trotz erdrückender wissenschaftlicher Evidenz noch immer am Klimawandel zweifeln. Andere, die meinen, dass Deutschland schon genug getan habe und andere – Indien, China vor allem – erstmal eine führende Rolle beim Klimaschutz übernehmen sollten. Leute, die Windräder ästhetisch unzumutbar finden, zumindest im eigenen Sichtfeld. Und Privatleute oder Unternehmer, die sich das billige russische Gas zurückwünschen. Davon gibt es auch in der SPD viele, bis weit ins linke Lager hinein.
Aber: Wie realistisch ist eine Energiewirtschaft in Deutschland mit weniger Windkraft überhaupt, was ist Wahlkampf, und was wären die tatsächlichen Alternativen?
Windenergie beschäftigt 130.000 Menschen
Die Windkraft ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, vor allem im Norden Deutschlands. Jüngsten Schätzungen zufolge arbeiten rund 130.000 Menschen in der Windenergiebranche, allerdings waren es 2016 noch knapp 160.000. Seit einigen Jahren ist die Zahl stabil. Mit Enercon, Siemens Wind Power, Senvion und Nordex haben mehrere Anlagenhersteller ihren Sitz in Deutschland; auch ausländische Wettbewerber wie Vestas aus Dänemark oder General Electric aus den USA betreiben Werke in Deutschland.
Zusammen mit ihren Zulieferern, den Projektierern und Betreibern der Anlagen generieren sie einen mittleren zweistelligen Milliardenumsatz pro Jahr. Mehrere deutsche Hochschulen haben sich zudem auf die Ausbildung von Windkraft-Ingenieuren spezialisiert. Viele bieten windspezifische Module in klassischen Ingenieursstudiengängen wie Elektrotechnik und Maschinenbau an, die Hochschulen Oldenburg, Bremerhaven, Kiel und Flensburg haben spezielle Masterstudiengänge „Wind Engineering“ im Programm.
Auch energetisch kann Deutschland nicht mehr auf den Strom aus Windkraftanlagen verzichten. Im Strommarkt ist die Windkraft inzwischen die bei weitem wichtigste Erzeugungsform: Mitte des Jahres 2024 waren 28.600 Windkraftanlagen an Land (onshore) mit einer installierten Leistung von zusammen gut 61 Gigawatt (GW) am Netz. Offshore, also auf dem Meer, waren per 30. Juni 2024 1600 Windenergieanlagen mit einer Leistung von insgesamt 8,9 GW in Betrieb, zusammen waren also rund 70 Gigawatt Windleistung am Netz.
Jede dritte Kilowattstunde Strom aus Wind
Nun weht der Wind nicht rund um die Uhr, vor allem an Land nicht, wie die beiden Dunkelflauten Ende 2024 zeigten, und je weiter weg von der Küste, desto geringer die Ausbeute der Anlagen. Fachleute rechnen mit knapp 4500 Volllaststunden pro Jahr auf See und mit etwa 2400 an Land (im Durchschnitt, die Bandbreite ist groß; an der Westküste sind es bis zu 3000, in Bayern oft weniger als 1800). Zum Vergleich: Ein Braunkohlekraftwerk kommt auf rund 7000 Volllaststunden pro Jahr. Insgesamt speisten die 70 Gigawatt Windleistung 2024 nach Berechnungen von Bruno Burger vom Fraunhofer Institut ISE in Freiburg 136 Terawattstunden (TWh) Strom in die Netze ein. „2024 war ein etwas schwächeres Windjahr als 2023“, sagt Burger, „da waren es noch 139 TWh.“
Der Anteil der Windkraft an der Stromerzeugung insgesamt stieg in den vergangenen Jahren aber kontinuierlich. Inzwischen ist Windkraft die wichtigste Stromerzeugungsform in Deutschland, noch vor der Kohle. 2024 kam ziemlich genau ein Drittel der deutschen Stromproduktion aus Wind.
Braunkohle-Kraftwerke lieferten 2024 noch 71 TWh oder 17 Prozent der Stromerzeugung 2024, acht Prozent weniger als im Vorjahr. Noch stärker sank die Stromproduktion aus Steinkohle: 24 TWh (5,8 Prozent des deutschen Stroms) bedeuteten ein Minus von 28 Prozent gegenüber 2023. Die Bruttostromerzeugung (inklusive Eigenverbrauch der Kraftwerke und Netzverluste) aus Stein- und Braunkohle lag laut Burger 2024 noch bei rund 108 TWh. „So wenig Kohlestrom hatten wir in Deutschland zuletzt vor knapp 70 Jahren, 1957“, sagt der Energiemarktforscher. Gaskraftwerke erzeugten 48,4 TWh, das waren 11,7 Prozent des Stroms.
Windstrom ist der günstigste Strom
Hinzu kommt: Windstrom ist vergleichsweise günstig. Zwar steigen Kapitalkosten und die Preise für Material und Personal – wie überall – auch beim Bau von Windkraftanlagen. Dennoch lag Onshore-Wind laut einer Untersuchung des Fraunhofer Instituts ISI mit Gestehungskosten von 4,3 bis 9,2 Cent je Kilowattstunde (kWh) am unteren Ende der Kostenskala; die Gestehungskosten umfassen Bau, Betrieb, Wartung und Entsorgung der Anlagen sowie die Kosten für Brennstoff oder Rohstoffe, die zur Strom-Erzeugung benötigt werden.
Offshore Wind schlug demnach 2024 mit 5,5 bis 10,3 Cent je Kilowattstunde zu Buche. Deutlich teurer ist die Stromerzeugung aus Biogas (20 bis 30 Cent je kWh), Braunkohle (15 bis 26 Cent) und Steinkohle (17 bis 30 Cent je kWh Strom). Gas und Dampf-Kraftwerke haben Stromgestehungskosten zwischen 11 und 18 Cent/kWh. Kleinere Gasturbinenkraftwerke für den kurzfristigen flexiblen Einsatz kommen auf 15,4 und 33 Cent.
Starker Ausbau geplant
Entsprechend stark will die Bundesregierung die Windenergie in Deutschland ausbauen. Im sogenannten Osterpaket konkretisierte Noch-Wirtschaftsminister Robert Habeck die Pläne: Bei der Windenergie an Land sollen die Ausbauraten demnach von derzeit rund fünf auf zehn GW pro Jahr steigen, 2030 sollen so 115 GW Windenergieanlagen an Land installiert sein. Derzeit ist der Ausbau auf Kurs: 2024 dürften rund 7,5 GW zugebaut worden sein; in den einzelnen Bundesländern fällt vor allem der starke Zubau im schwarz-grün regierten Nordrhein-Westfalen auf. Auf See soll der Ausbau noch rasanter beschleunigt werden, von heute rund 9,5 GW auf mindestens 30 Gigawatt bis 2030, mindestens 40 GW bis 2035 und mindestens 70 GW bis 2045.
Doch vor allem an den hochtrabenden Ausbauplänen für Wind auf See gab es zuletzt Kritik, auch von unerwarteter Seite, etwa von den drei prominenten Energie-Ökonomen Lion Hirth, Christoph Maurer und Hanns Koenig, die den Erneuerbaren traditionell eher pragmatisch bis wohlwollend gegenüberstehen. „Wegen der hohen und tendenziell steigenden Netzanschlusskosten ist die Windenergie auf See keine wirklich günstige Stromerzeugungsform“, erklärt Maurer, „der Fokus sollte in Deutschland daher auf Onshore-Wind liegen“, meint er.
Zudem sei die deutsche Meeresgeografie eher ungünstig, räumt auch Marco Wünsch ein, Energiemarktexperte der Beratungsgesellschaft Prognos. Verglichen mit Dänemark, Frankreich oder Großbritannien habe Deutschland relativ wenig Küstenlinie an der vorherrschenden Windrichtung Nordwest. Experten fürchten daher, dass die Windkraftanlagen auf See zu eng aneinander gebaut werden müssten, sollen die 70 Gigawatt bis 2045 realisiert werden, und sich so zum Teil gegenseitig beschatten, was ihre durchschnittliche Leistung von den angestrebten 4000 bis 4500 Volllaststunden „an den weiter im Osten und Südosten liegenden Zonen eher Richtung 3000 Stunden drücken würde, ein Wert, den man an guten Standorten an Land mit deutlich geringeren Anschlusskosten einfacher erreichen kann“, so Maurer.
Strombedarf wächst rapide
Insgesamt aber könne auch er sich „kein Szenario vorstellen, in dem die Klimaziele erreicht und die Windenergie nicht mindestens eine tragende Säule, wenn nicht die wichtigste Stromerzeugungsform in Deutschland ist“, sagt Maurer. Einzig der Fotovoltaik bescheinigen die meisten Experten noch schnellere Wachstumsraten, allerdings fließt deren Energie noch eingeschränkter: nicht nachts und in deutschen Breiten auch kaum im Winter. „Man kann es drehen und wenden, wie man will“, so Maurer, „mit Atomkraft oder ohne, mit noch mehr PV und Batterien – Windkraft ist unter Berücksichtigung aller Faktoren, Kosten, Leistung, Netzintegration – die günstigste Stromquelle. Ein dekarbonisiertes System mit weniger Windstrom wäre „zwangsläufig teurer“, glaubt der Elektroingenieur und Energieökonom.
Fotovoltaik (PV) etwa kostet dank eines rasanten Preisverfalls der Module – inzwischen fast ausschließlich aus chinesischer Produktion – zwar weniger pro Kilowatt installierter Leistung, erfordert aber wegen der geringen Volllaststunden noch mehr Speicher als Wind und vor allem eine aufwendige, teure Netzintegration. Weil Fotovoltaikanlagen kleiner sind und weiter verstreut im Land gebaut werden als Windkraftanlagen, müssen für einen PV-Ausbau auch die Niederspannungsnetze im Verteilnetz stark ausgebaut werden, während die Windkraft nur die großen Transportnetze betrifft.
In ihren Langfristszenarien rechnen Energiemarktforscher mindestens mit einer Verdoppelung des Stromverbrauchs von heute jährlich knapp 500 TWh bis 2045 auf mindestens 1100 TWh – und das, obwohl die meisten Geräte wie Waschmaschinen, TV-Geräte und Computer sowie viele Anlagen in der Industrie immer energieeffizienter und sparsamer werden. Noch in den 1980ern und 90ern gingen viele Energiemarktforscher daher von langfristig sinkenden Stromverbräuchen aus. Eine Fehlannahme, wie sich nun zeigt. Denn der Effekt wird mehr als kompensiert von neuen Verbrauchern.
Die kommen im Kern aus der Elektrifizierung von Bereichen, die heute noch weitgehend mit fossiler Energie betrieben werden, also etwa E-Autos, die Diesel und Benzin-Pkw ersetzen, oder Wärmepumpen, die statt Öl- und Gasheizungen verbaut werden. Die verschiedenen Berechnungen weisen eine breite Streuung auf, einige kommen gar auf bis zu 1400 TWh jährlichen Strombedarfs ab 2045. Realistisch kann niemand eine auf die Terawattstunde genaue Prognose für in 20 Jahren erstellen. Das Ergebnis hängt unter anderem von der Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft ab, davon, wie viel energieintensive Industrie – wie Baustoffe, Gas, Keramik, Papier, Basischemie oder Stahl – dann noch in Deutschland produzieren wird, aber auch von der Akzeptanz von E-Autos und Wärmepumpen. Fest steht aber „es wird auf jeden Fall mehr sein, selbst wann man alle diese Parameter sehr konservativ ansetzt“, sagt Marco Wünsch von Prognos. „Die Elektrifizierung der Industrie ist ein Langfristtrend, und zumindest in Neubauten ist die Wärmepumpe relativ konkurrenzlos. Hinzu kommen neue Verbraucher, vor allem Rechenzentren.“
Unter diesen Umständen fällt es selbst Windkraft-Skeptikern schwer, sich einen Rückgang der Windenergienutzung in Deutschland vorzustellen. Die Internationale Energieagentur IEA etwa rechnet mit über 80 Prozent Strom aus Wind und PV ab 2030 für Deutschland und mit über 90 Prozent ab 2035. „Es ist klar, dass Wind dabei eine tragende Säule sein muss, weil die Solarenergie bei uns von November bis Januar nur homöopathische Energiemengen erzeugt“, sagt Consentec-Co-Chef Maurer.
Das Ariadne-Projekt, das die wichtigsten Langfristszenarien in einer Metastudie ausgewertet hat (Prognos/BDI, DENA, Fraunhofer Institut, Agora und Consentec für das Bundeswirtschaftsministerium), kommt auf 180 GW installierte Windenergieleistung 2045 – gegenüber heute eine glatte Verdreifachung, obwohl dabei ein gleichzeitiger starker Ausbau der Fotovoltaik und von Batteriespeichern angenommen wird. „Man kann den Windenergie-Ausbau nur dann signifikant verringern, wenn man entweder den Klimaschutz beerdigen möchte, oder die energieintensive Industrie in Deutschland“, sagt Wünsch von Prognos, „beides behalten und weniger Wind – das geht nicht.“
Was könnten die Alternativen sein?
„Theoretisch könnte man die Energie importieren“, sagt Maurer. Denn auch das Potenzial der Wasserkraft ist in Deutschland begrenzt. Deutschland importiert seit jeher mehr als 95 Prozent des Öl und Gas, den Großteil der Steinkohle und zuletzt zunehmend auch Strom. Warum nicht auch künftig, dann CO2-arme, Energie importieren? Kurze Antwort: weil das nicht so einfach ist, wie mit fossilen Brennstoffen, die in der Regel sehr viel Energie pro Gewicht und Volumen speichern und bei normalen Drücken und Temperaturen über die Weltmeere transportiert werden können.
Erneuerbare Energie aus Chile, Namibia oder Arabien müsste zunächst unter hohen Verlusten durch Elektrolyse von Strom in Wasserstoff gewandelt werden. Der wäre nur bei sehr hohen Drücken von mindestens 300 bar oder bei minus 250 Grad klein genug, um damit nennenswerte Energiemengen über die Weltmeere zu transportieren. E-Fuels könnten eine Lösung sein; sie lassen sich, wie fossiler Sprit, bei normalem Druck in Tankschiffen handeln. Doch bei ihrer Herstellung geht ein Großteil der als Grünstrom erzeugten Energie verloren. Und die Projekte zu ihrer Erzeugung stecken – wohlwollend formuliert – noch in den Kinderschuhen: Die Internationale Energieagentur machte kürzlich eine Bestandsaufnahme aller e-Fuels-Projekte weltweit. Sollten alle bis 2030 realisiert werden – erst bei ein bis zweit Prozent von ihnen ist die Finanzierung gesichert – würden sie knapp ein Promille des heutigen Verbrauchs fossiler Kraftstoffe abdecken.
Etwas ganz Neues erfinden?
Friedrich Merz spielt mit seinen Aussagen zur Windkraft als „Übergangstechnologie“ auf die Möglichkeit an, dass 2045 noch ganz andere, heute irrelevante oder unausgereifte Energieformen eine Rolle spielen könnten. Konkret nannte der Kanzler-Anwärter – wie schon andere Politiker vor ihm – die Kernfusion. Auch Geothermie und eine Rückkehr zur Atomkraft tauchen immer wieder als vermeintliche CO2-freie Alternativen zu Windstrom und Fotovoltaik in der Diskussion auf.
Sehen wir uns ihre Potenziale also an.
Geothermie ist von den genannten Technologien am weitesten entwickelt. „Sie hat in der Tat noch viel ungenutztes Potenzial“, sagt Rolf Bracke, Professor für Geothermische Energiesysteme an der Uni Bochum. Dabei wird in der Regel ein unterirdischer See mit warmem Wasser angebohrt; die Energie kann dann zum Heizen – über ein Fernwärmenetz – genutzt werden, aber auch über eine Turbine Strom erzeugen. Das funktioniert bereits; die Stadtwerke München etwa betreiben bereits mehrere Geothermiekraftwerke. Allerdings sei die Energieform „in Deutschland vorrangig für die Gebäudeheizung und weniger als Stromquelle geeignet“, sagt Wünsch von Prognos.
Der elektrische Wirkungsgrad von Geothermiekraftwerken ist ziemlich schlecht, weil das Wasser erst auf eine viel höhere Temperatur gebracht werden muss, als in der Erde vorkommt; die elektrische Leistung von Geothermie-Kraftwerken ist gering – meist nur zwei bis drei Megawatt, ein Fünftel der Leistung einer modernen Windkraftanlage. Die Investitionskosten sind zudem hoch. Das liegt vor allem an den hohen Bohrkosten.
Kernfusion ist eine – theoretisch – unendliche, günstige und völlig klimaneutrale Energiequelle. Dass das Prinzip funktioniert, beweist die Sonne: in ihr werden ständig Atome zu anderen, größeren Elementen verschmolzen, mehrere Wasserstoffatome zu Helium, konkret. Ist die Masse der bei der Fusion entstandenen neuen Kerne geringer als die Summe der Masse der Ausgangskerne, wird die Massendifferenz in Form von Energie freigesetzt. Kernfusion ist – anders als das Gegenteil, die Kernspaltung in heutigen Atomkraftwerken – zudem inhärent sicher, weil es keine unkontrollierbare Kettenreaktion gibt. Auch Atommüll fiele nicht an.
Es gibt nur ein kleines Problem: Was rund um die Uhr im Kern der Sterne im Universum abläuft, funktioniert noch nicht als Kraftwerk auf der Erde. An der Kernfusion arbeiten weltweit Forschende schon seit den frühen 1950er-Jahren. Bislang gelang es nicht, aus den Versuchskraftwerken mehr Energie herauszuholen, als man zuvor hineinstecken muss. Damit sich in einem Fusionsreaktor Atomkerne überhaupt so nahe kommen, dass sie aneinanderstoßen und fusionieren, sind ex**e Temperaturen nötig. Das dafür nötige heiße Plasma aufrecht zu erhalten, erfordert immensen Energie-Input. Zuletzt hatten mehrere Startups aus den USA, aber auch Deutschland, medienwirksam „Durchbrüche“ bei der Kernfusion gemeldet. Der entscheidende Schritt aber, eine netto positive Energiebilanz, ist noch in weiter Ferne. Natürlich kann niemand einen plötzlichen Durchbruch in den kommenden Jahren ausschließen. Fusionsforscher gehen aber davon aus, dass – selbst wenn die physikalisch-technische Lösung gelingt – Kernfusion frühstens ab 2050 nennenswerte Beiträge zur Stromversorgung liefern könnte.
Bleibt das Gegenteil: Kernspaltung. Deutschland stieg 2023 aus der Kernenergie aus. Aber die Debatte um einen möglichen Wiedereinstieg hält an. Kernkraftbefürworter argumentieren vor allem mit der „Grundlastfähigkeit“ von Atomkraftwerken (AKW): diese würde gerade auch nachts und im Winter CO2-freien Strom liefern, also dann, wenn die Erneuerbaren schwächeln. International gibt es zahlreiche Ankündigungen und Projekte, die Technik auszubauen. Weltweit sind 13 neue AKW in Bau, die meisten in China. Auch die USA, Kanada, Russland, Japan, Indien, Frankreich, Korea und Brasilien bauen neue AKW. Ein gutes Dutzend weitere Länder haben welche in Planung.
Wie viele der zuletzt in Deutschland stillgelegten AKWs sich wieder in Betrieb nehmen ließen, und vor allem zu welchen Kosten, ist heftig umstritten. Bei einigen wäre es immerhin technisch noch möglich. „Klar ist aber auch, dass der Anteil der Kernkraft an der Gesamtstrommenge selbst bei einem energischen politischen Kurswechsel nur gering wäre“, sagt Maurer. So lieferten die letzten drei deutschen AKW 2023 gerade mal 6,3 Prozent der deutschen Stromerzeugung. Und neue AKW würden angesichts der langen Planungs- und Bauphase von 12 bis 15 Jahren frühestens 2040 Strom in die Netze speisen. „Egal, wie man zur Kernkraft steht“, meint Maurer, „als Alternative zu Windstrom sollte man sie nicht verkaufen“.
|
Quelle https://www.wiwo.de/unternehmen/ener.../30168044.html
Dann soll uns doch Alice Weidel mal erklären, woher der Strom kommt, wenn man alle Windräder beseitigt ...
__________________
-----------------------------------------------------------------------------------------------------
Diskutiere nie mit einem Idioten, denn wenn du dich auf sein Niveau herabläßt, schlägt er dich mit seiner Erfahrung.
|