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Koalitionsverhandlungen
Die Überwachungswünsche von Schwarz-Rot
Union und SPD wollen die anlasslose Speicherung von IP-Adressen ermöglichen. Und die Wunschliste von CDU und CSU ist noch viel länger.
Eine Analyse von Friedhelm Greis
26. März 2025, 7:35 Uhr

Die mögliche schwarz-rote Koalition will die Videoüberwachung ausdehnen.
In den Verhandlungen zwischen Union und SPD über eine Regierungskoalition gibt es noch viel Klärungsbedarf in der Sicherheitspolitik. Zwar einigten sich die Unterhändler der Arbeitsgruppe Innen, Recht, Migration und Integration prinzipiell auf eine Speicherpflicht für IP-Adressen und Portnummern. Doch in etlichen Punkten gehen die Wünsche von CDU und CSU den Sozialdemokraten noch zu weit.
Das geht aus dem Abschlusspapier der Arbeitgruppe hervor, das von Netzpolitik.org veröffentlicht wurde. Dort sind die offenen Forderungen der Union mit Blau, die Vorschläge der SPD mit Rot markiert. Die Wünsche der Union decken sich weitgehend mit einem Entschließungsantrag, der nach dem tödlichen Messerangriff von Aschaffenburg im Januar 2025 in den Bundestag eingebracht wurde.
Zeitenwende gefordert
Die Arbeitsgruppe fordert eine "Zeitenwende in der Inneren Sicherheit", um den multiplen Bedrohungen von außen und im Innern zu begegnen. Das ist wohl eine bewusste Absage an den Versuch der Ampelkoalition, die zunehmenden Überwachungsmaßnahmen des Staates wieder einzudämmen. Dieser Versuch wurde in den vergangenen Jahren von der SPD erfolgreich boykottiert, beispielsweise beim Quick-Freeze-Verfahren. Nun sehen sich umgekehrt die Sozialdemokraten wieder in der Position, die Grundrechte der Bürger zu verteidigen.
Dies betrifft bespielsweise die Frage, wie lange IP-Adressen und Portnummern auf Vorrat gespeichert werden dürfen. Mit der Forderung nach einer Speicherdauer von sechs Monaten geht die Union sogar über ihren Gesetzentwurf (PDF) vom Dezember 2024 hinaus, der nur drei Monate vorsah. Selbst diese Frist ging der SPD damals zu weit. Der SPD-Abgeordnete Daniel Baldy warf der Unionsfraktion damals vor: "Mich erinnert das bei Ihnen eher so an wildes Zahlenraten als an seriöse Grundrechtsabwägung."
Automatisierte Gesichtserkennung mit Internetdaten
Dem Papier zufolge soll die Vorratsdatenspeicherung verhältnismäßig sowie europa- und verfassungsrechtskonform ausgestaltet werden. Die SPD dürfte die Union daher in anstehenden Verhandlungen daran erinnern, dass nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) die Datenspeicherung "auf das absolut notwendige Maß" beschränkt werden sollte. Sonst dürfte die Speicherung ebenso wie die früheren Gesetze der damals noch recht großen Koalition wieder vor Gericht scheitern.
Dies droht möglicherweise auch bei der Forderung, den Sicherheitsbehörden eine "automatisierte Datenrecherche und -analyse sowie den nachträglichen biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten, auch mittels künstlicher Intelligenz" zu erlauben. Diese Pläne waren bereits von der Ampelkoalition im Bundestag beschlossen, dann aber im Bundesrat gestoppt worden.
Je nach dem, wie diese Datenanalyse umgesetzt wird, könnte sie gegen die europäische KI-Verordnung verstoßen. Diese untersagt den Aufbau biometrischer Datenbanken auf Basis öffentlich zugänglicher Internetfotos. Zulässig ist hingegen eine retrograde biometrische Fernidentifizierung zur Identifizierung von Tätern, die den Strafverfolgern "unter bestimmten, eng definierten Voraussetzungen bei schweren Straftaten" erlaubt werden soll. Dazu fordern die Unterhändler eine Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten.
Sehr bedenklich ist zudem der Wunsch der Union, "Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste im Einzelfall zur Entschlüsselung und Ausleitung von Kommunikationsinhalten an Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden" zu verpflichten. Dies würde eine Hintertür in verschlüsselten Messengerdiensten wie Whatsapp oder Signal erforderlich machen.
Dass diese Forderung von der Union erhoben wird, ist kein Zufall.
Schließlich leitete der CDU-Politiker Günter Krings die Arbeitsgruppe. Krings war von 2013 bis 2021 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, das in seiner Amtszeit vehement darauf drängte, den Sicherheitsbehörden Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation zu verschaffen.
Offen bleibt, ob die schwarz-rote Regierung die umstrittene Chatkontrolle auf EU-Ebene weiter blockieren wird. Die SPD will dazu folgenden Satz im Koalitionsvertrag unterbringen: "Chatkontrolle und Client-Side Scanning, wie auf EU-Ebene derzeit in Verhandlungen, stimmen wir auch künftig nicht zu, da damit grundsätzliche Bürgerrechte ausgehebelt würden." Doch dem stimmte die Union noch nicht zu.
Staatstrojaner für alle
Ebenfalls zur blauen Wunschliste der Union gehört die starke Ausdehnung des Staatstrojanereinsatzes. So soll die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) allen Sicherheitsbehörden erlaubt werden. Diese soll dabei nicht nur solche Inhalte abhören, die von Beginn des eigentlichen Zugriffs an erstellt werden. Erfasst werden soll sämtliche Kommunikation "ab dem Zeitpunkt der Anordnung" des Einsatzes. Auch "retrograde Daten" könnten in bestimmten Fällen erfasst werden. Die Befugnis ist umstritten, da sie eher der Onlinedurchsuchung entspricht, für die höhere Eingriffsschwellen gelten.
Ebenso wie der Bundesrat könnte die künftige Koalition die Nutzung von Gesundheitsdaten in einer polizeilichen Analysesoftware befürworten. "Zur Verhinderung weiterer Gewalttaten, wie in der jüngsten Vergangenheit, wollen wir die frühzeitige Erkennung entsprechender Risikopotentiale bei Personen mit psychischen Auffälligkeiten sicherstellen. Hierzu führen wir eine gemeinsame Risikobewertung und ein integriertes behördenübergreifendes Risikomanagement ein", heißt es. Die Länderkammer setzt sich zu diesem Zweck für den schnellen Einsatz einer polizeilichen Analysesoftware in ganz Deutschland ein.
Hackbacks sollen erlaubt werden
Einig sind sich Union und SPD auch darin, die operativen Fähigkeiten der Nachrichtendienste zu stärken. Die Arbeitsgruppe fordert eine "grundlegende verfassungskonforme, systematische Novellierung des Rechts der Nachrichtendienste des Bundes", um einen "effektiven und effizienten Datenaustausch zwischen den Diensten und anderen Behörden" zu ermöglichen.
Ebenso wie die Arbeit der Nachrichtendienste ist die IT-Sicherheit künftig von der Schuldenbremse ausgenommen. In diesem Bereich will die Arbeitsgruppe auch Hackbacks zulassen. "Im Rahmen des verfassungsrechtlich Möglichen bauen wir unsere Fähigkeiten zur aktiven Cyberabwehr aus", heißt es. Zusätzliche Mittel könnten für "die Schaffung einer neuen spezialisierten technischen Zentralstelle unter Einbeziehung von Zitis" benötigt werden. Die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (Zitis) soll unter anderem Überwachungssoftware beschaffen oder entwickeln.
Weiter heißt es: "Der Bund schafft die rechtlichen, technischen und finanziellen Voraussetzungen für eine wirksame Drohnendetektion und -abwehr auch durch die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern."
Dem Papier zufolge soll das Cyberstrafrecht reformiert werden, um Strafbarkeitslücken beispielsweise bei bildbasierter sexualisierter Gewalt zu schließen.
"Dabei erfassen wir auch Deep Fakes und schließen Lücken bei deren Zugänglichmachung gegenüber Dritten", heißt es. Die Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Plattformen, die bei der Entfernung strafbarer Inhalte systemische Mängel aufweisen, sollen verschärft werden
"Wir werden im Computerstrafrecht Rechtssicherheit für IT-Sicherheitsforschung schaffen, wobei wir Missbrauchsmöglichkeiten verhindern", heißt es abschließend. Zumindest diese Forderung dürfte, je nach Ausgestaltung, von Organisationen wie dem Chaos Computer Club begrüßt werden. Zwar hatte die Ampelkoalition dazu noch kurz vor ihrem Scheitern einen Gesetzentwurf vorgelegt, doch dieser wurde nicht mehr im Bundestag beraten.
An die nun abgeschlossene Arbeitsgruppenphase schließt sich nach Angaben der CDU eine dreitägige Redaktionsphase an. "In der anschließenden Clearingphase werden letzte Uneinigkeiten und unklare Formulierungen ausgeräumt." Nach der Arbeit der Clearingphase soll Anfang April die Schlussredaktion des Koalitionsvertrages folgen. "Danach liegt ein fertiges Dokument vor, das den drei Parteien zur Zustimmung zugeht", schreibt die CDU. Sollten alle drei Parteien dem Koalitionsvertrag zustimmen, könnte CDU-Chef Friedrich Merz am 23. April 2025 zum neuen Bundeskanzler gewählt werden.
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Quelle: golem.de
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