AfD-Aufspaltung
Meuthen macht den Lucke
Der Höcke-Flügel soll austreten? Jörg Meuthen setzt sich mit diesem Vorschlag Spaltungsvorwürfen aus. Seine Idee einer bereinigten AfD ist chancenlos, ihr fehlt Rückhalt.
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2. April 2020, 16:14 Uhr 70 Kommentare
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Stellt eine Abtrennung der AfD vom Höcke-Flügel zur Diskussion: Jörg Meuthen. © Matthias Schrader/AP/dpa
Jörg Meuthen ahnte, dass es Widerspruch geben würde: "Manchmal braucht es den Mut, auch einmal gegen den Strich zu denken", twitterte er und verlinkte ein Interview, in dem er dem Höcke-Flügel der AfD nahelegt, [Link nur für registrierte und freigeschaltete Mitglieder sichtbar. Jetzt registrieren...]. Der im Westen stärkere bürgerlich-konservative Teil der Partei und die den Osten dominierenden völkischen Nationalisten könnten gemeinsam nicht erfolgreich sein, konstatiert er darin. "Jeder weiß, dass der Flügel und dessen maßgebliche Exponenten uns ganz massiv Wählerstimmen im bürgerlichen Lager kosten", sagt Meuthen. Um das Wählerpotenzial zu vergrößern, bedürfe es einer Trennung. So würde der bürgerliche Teil der AfD für "scharenweise sich als konservativ verstehende Wähler" aus Union und FDP attraktiv, sagt er. Die sozialpatriotische Höcke-AfD wiederum könne im Osten der Linkspartei Wähler abnehmen.
Meuthen schien die derzeitige Stimmungslage für einen solch radikalen Vorstoß geeignet: Die westdeutschen Landesverbände, die die Mehrheit der Partei stellen, erzwangen vor wenigen Tagen, dass der Höcke-Flügel seine Aktivitäten einstellen muss. Zeitgleich entzogen Parteigerichte mehreren AfD-Radikalen das Mitgliedsbuch: dem Antisemiten Wolfgang Gedeon oder dem Meuthen-Erzfeind und Stuttgarter Landtagsabgeordneten Stefan Räpple. Und einen von Meuthen und seinem – in Höckes Kreisen akzeptierten – Co-Chef Tino Chrupalla veröffentlichten Aufruf zur verbalen Mäßigung hatte die Partei überwiegend positiv aufgenommen. Und beide Parteichefs sind bis Ende 2021 gewählt.
Die Flügel-Auflösung hatte der Parteivorstand vor wenigen Wochen noch mit großer Mehrheit unterstützt – und zugleich für ausreichend befunden. Doch Meuthen will mehr: Er will die Höcke-Anhänger von der Partei abtrennen. Weil – wie er richtig erkannt hat – "die Haltungsgemeinschaft" des Flügels sich durch dessen formelle Auflösung "deshalb doch nicht in Nichts auflöst". Das erläuterte er [Link nur für registrierte und freigeschaltete Mitglieder sichtbar. Jetzt registrieren...], den er auf die aufkommende Kritik an seinem Interview folgen ließ – ein Versuch, die Deutungshoheit zu behalten.
"Geeignet, die Partei zu spalten"
Denn die von Meuthen ins Gespräch gebrachte [Link nur für registrierte und freigeschaltete Mitglieder sichtbar. Jetzt registrieren...] wird ausschließlich als Spaltungsaufruf verstanden. So ist es oft in der politischen Kommunikation, wo die Rezeption der Botschaft und die darauf folgende Diskussion viel entscheidender sind als der ursprüngliche Inhalt. Höckes rechte Hand, Thüringens Co-Landeschef Stefan Möller, [Link nur für registrierte und freigeschaltete Mitglieder sichtbar. Jetzt registrieren...]. Weder Chrupalla sprang bisher Meuthen bei, noch Parteivize Stephan Brandner ("Teilung ist kein Ansatz für die Zukunft unserer Partei."), auch nicht die Vorstandsmitglieder Beatrix von Storch ([Link nur für registrierte und freigeschaltete Mitglieder sichtbar. Jetzt registrieren...]) oder Carsten Hütter ([Link nur für registrierte und freigeschaltete Mitglieder sichtbar. Jetzt registrieren...]). Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland nannte den Vorstoß "extrem unpolitisch", Höcke selbst "töricht und verantwortungslos". Auch AfD-Vorstandsbeisitzerin Sylvia Limmer, die mit Meuthen im Europaparlament sitzt, hält die Diskussion auf Nachfrage von ZEIT ONLINE für zulässig, eine Spaltung der AfD aber "wäre falsch". Und Rüdiger Lucassen, AfD-Chef aus NRW, dessen Landesverband die Auflösung des Flügels maßgeblich betrieb, bescheinigt Meuthen, sein Vorstoß sei "geeignet, die Partei zu spalten".
Hinzu kommt, dass Meuthen sein Interview offenbar mit niemandem vorher abstimmte. Die Veröffentlichung sei für den Vorstand "völlig überraschend" gewesen, sagt Limmer. So etwas kommt auch in der AfD nicht gut an, obwohl sie sich als die Partei der Meinungsfreiheit versteht. Wer aber wollte, konnte ahnen, dass Meuthen eine eigene Agenda entwickeln würde: Ein diese Woche veröffentlichter [Link nur für registrierte und freigeschaltete Mitglieder sichtbar. Jetzt registrieren...] für "Die Rückkehr zur inneren Einheit der Partei" war von Chrupalla unterzeichnet, von Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel und von Gauland – Meuthen fehlte.
Strategisch ist Meuthens Ansinnen nachvollziehbar: 2021 stehen wichtige Landtagswahlen in westdeutschen Landesverbänden an, auch bei der Bundestagswahl – für die er selbst kandidieren könnte – räumt er einer rechtskonservativ statt völkisch ausgerichteten AfD größere Chancen ein. Denn der völkische Nationalismus des Höcke-Flügels kommt nur im Osten gut an, wie die Wahlergebnisse zeigten, im Westen schreckt er Wähler ab. Im ZEIT ONLINE vorliegenden Strategischen Konzept der AfD für 2019–2025 heißt es deshalb auch, die Wähler seien der Ansicht, "dass sich die AfD nicht ausreichend vom rechten politischen Rand abgrenzt". Das hindere die AfD, ihr bundesweites Wählerpotenzial von 19 Prozent auszuschöpfen. Derzeit drohen die Umfragewerte unter zehn Prozent zu fallen. Auch das könnte Meuthen bewogen haben, sein Abtrennungsszenario öffentlich darzulegen.
"Ein Parteichef muss integrativ sein"
Ließe sich Meuthens Gedankengebäude umsetzen, bliebe nach der Abtrennung der Höcke-Anhänger eine rechtskonservative, ordoliberal ausgerichtete AfD übrig, die den Euro ablehnt, ein Einwanderungssystem nach kanadischem Vorbild anstrebt, sich ausweislich ihres derzeitigen Programms aber auch gegen Minarette ausspricht und den Islam und Muslime in Deutschland als Gefahr ansieht. Gut möglich wäre, dass Meuthens AfD sich programmatisch sogar entradikalisiert, sollten die mittlerweile vom Verfassungsschutz beobachteten Nationalisten um Höcke nicht mehr Teil der Partei sein, und etwa auf Einschränkungen der Religionsausübungsfreiheit verzichtet. Die Höcke-Partei wiederum dürfte in der Fünf-Prozent-Ecke enden, weil die Geheimdienstbeobachtung Wähler in Scharen abschreckt. Das zeigte sich zuletzt bei der NPD.
Doch es ist unrealistisch, dass Meuthens Plan aufgeht. Zwar hat er Erfahrung im Abtrennen: Um den Rückzug des antisemitischen Stuttgarter Landtagsabgeordneten Gedeon zu erzwingen, war er 2016 mit einigen Getreuen aus der Landtagsfraktion ausgetreten. Später fusionierten die beiden Teile wieder, Gedeon ist seither fraktionslos. Die Parteigeschichte aber ist voll von gescheiterten bürgerlich-konservativen Ausgründungen: Bernd Luckes Liberal-konservative Reformer etwa, und Frauke Petrys Blaue Partei blieben mitleiderregende Kleinprojekte. Ähnlich erging es André Poggenburgs völkischem Aufbruch deutscher Patrioten – einer Art Flügel-Kopie. Nach jeder Abtrennung stand die AfD etwas weiter rechts.
Das wäre auch nach einem möglichen Abgang Meuthens so. Ihn bläst nun derselbe Gegenwind an, wie ihn Lucke oder Petry in der AfD spürten. Auch sie waren nach anfänglicher Unterstützung der Parteinationalisten auf Distanz gegangen und wurden daraufhin abgewählt oder rausgemobbt. Selbst Meuthens flügel-kritische Unterstützer sehen jetzt wenig Chancen, dass der Parteichef [Link nur für registrierte und freigeschaltete Mitglieder sichtbar. Jetzt registrieren...] unbeschädigt übersteht. Es gehe jetzt um Meuthens politisches Überleben, ist zu hören. Für ihn spricht nur noch, dass es derzeit keinen Kandidaten gibt, der ihn an der Spitze schnell ersetzen könnte. Selbst NRW-Chef und Flügel-Gegner Lucassen geht zu Meuthen auf Distanz: "Man kann nicht als Chef einer Partei mit solchen Thesen an die Öffentlichkeit gehen, die als Auflösung oder Spaltung verstanden werden können", sagt er. "Ein Parteichef muss integrativ sein." Meuthen steht jetzt im Überlebenskampf.
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