Legende
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Letzter Akt eines Stücks TV-Geschichte
Zitat:
Mit „Wetten, dass..?“ tritt am Samstag nach fast dreieinhalb Jahrzehnten die prominenteste deutschsprachige Show endgültig von der TV-Bühne. Ein letztes Mal wird der schon liebenswert anachronistische Spruch „Top, die Wette gilt!“ eine ebensolche ankündigen. Das dürfte selbst jene, die das Ende des zunehmend verstaubt wirkenden Formats herbeigesehnt haben, wehmütig machen - zumindest ein wenig.
Dass das Ende von „Wetten, dass..?“ nach 215 Ausgaben ein (zumindest) TV-historischer Einschnitt ist, ergibt sich aus der Haltung von Wegbegleitern: „‚Wetten dass..?‘ hat über Jahre von der Oma bis zum Enkel die ganze Familie vor dem Fernseher versammelt, und über die Sendung wurde am nächsten Tag fast überall geredet“, meinte der deutsche Moderator Günther Jauch unlängst. Das bliebe „ein großer Verdienst“, heute schafften diesen „Lagerfeuereffekt“ nur noch große Sportereignisse.
Konzept mit Ablaufdatum?
Doch bei allen historisch-romantischen Gefühlen gegenüber dem wohnzimmerlichen Begleiter war vielen klar, dass das Konzept von „Wetten, dass..?“ ein Ablaufdatum hat. Die Sendung galt zuletzt in den Augen vieler nur noch als ein Schatten ihrer selbst, obwohl die Produktionskosten hoch wie eh und je waren. Diese wären zu rechtfertigen gewesen, wenn nur die Quoten nicht so derart dramatisch gesunken wären - fast zwei Drittel der Zuschauer hatte die Show sowohl in Österreich als auch in Deutschland zuletzt verloren.
Als möglicher Grund des raschen Verfalls der legendären Show gilt insbesondere ein Negativereignis: Unvergessen ist der tragische Unfall des jungen Wettkandidaten Samuel Koch, der im Dezember 2010 beim Versuch, mit Sprungfedern über Autos zu hüpfen, so schwer stürzte, dass er gelähmt blieb. Diese Episode galt nach außen hin als das Ende der Ambition des langjährigen Moderators Thomas Gottschalk (er moderierte mit kurzer Unterbrechung von 1987 bis 2011), das Format zu covern - wobei seine letzten Moderationen zusammen mit Michelle Hunziker bereits von Ermüdung gezeichnet waren.
Forsche Kritik aus allen Rohren
Gottschalks Abgang und die - in den Augen beinahe unzähliger Kritiker - unglückliche Nachfolge durch Markus Lanz bedeuteten eine Zäsur, die nach Kritikermeinung das endgültige Ende der Show einläutete. Freilich war es inzwischen schon zur Mode geworden und gehörte fast zum guten Ton vieler Kulturredaktionen, sich über den ihn ihren Augen ungeschickten und teils gar derben Stil Lanz’ forsch lustig zu machen.
Auch sinkendes Niveau wurde allgemein festgestellt - ein diesbezüglicher Tiefpunkt wurde bei der Mallorca-Ausgabe im Sommer 2013 erreicht. Im Zuge dessen schalteten viele dem Format treu gebliebenen „Wetten dass..?“-Seher in ihrer Fassungslosigkeit emotional auf den „Häme und Spott“-Modus um - in den Sozialen Netzwerken hagelte es bereits sendungsbegleitend Kritik, die zynischen Schelten der Onlinemagazine und -zeitungen waren da nur noch die logische Folge.
Und trotz allem gab es auch nicht wenige, die betonten, dass man Lanz nicht allein den Schwarzen Peter für den Niedergang von „Wetten, dass..?“ zuschieben könne. Einige erinnerten daran, dass auch schon zu Gottschalks Zeiten vieles an der Show bemängelt wurde. Etwa der ständig über dem Format schwebende Schleichwerbungverdacht in Verbindung mit der eingebundenen Firma von Gottschalks Bruder Christoph.
Retter in den 90ern
Ein weiteres Argument dafür, dass das „Wetten, dass..?“-Aus nicht an Lanz gelegen sein kann, ist mit dem Moderatorenintermezzo von Wolfgang Lippert Anfang der 90er Jahre zu belegen: Der aus Ostberlin stammende Entertainer sollte die deutsche Wende ab 1992 auch im öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsformat abbilden. Zugleich folgte Gottschalk dem Ruf des aufstrebenden Privat-TV. Doch Lippert konnte Gottschalks Charme nicht annähernd gleichkommen. „Brav-biederlich“ sei Lippert, meinten Kritiker, das TV-Publikum strafte die Sendung mit schwindendem Interesse.
Nur neun Folgen hielt Lippert durch, dann übernahm Gottschalk wieder, um die Show vor dem Absturz zu bewahren. Das gelang auch - aus heutiger Sicht wenig verwunderlich. Fast hätte man allen Grund zu glauben, dass „Wetten, dass..?“ als Konzept nur in Verbindung mit Gottschalk funktionieren konnte. Doch neben dem „Grandseigneur“ der Show, der mit den Stars auf der Couch stets auf Du und Du war bzw. auf einige wenige Gäste mit seiner Art provokant wirkte, gab es noch Frank Elstner - den Urheber des Showformats.
TED und Menschen für Menschen
Für die Kür der Wettkönige kam ein damals brandneues System zum Einsatz - der TED (Teledialog). Mittels Televotings konnten Anrufer abstimmen, ob ihr Favorit die Wette gewinnen soll, allerdings war die Leistungsfähigkeit des damaligen Telefonnetzes noch begrenzt - 1.000 ausgewählte Zuschauer konnten abstimmen. Von der erfassten Stimme erfuhren sie durch eine automatische Ansage: „Ihr Anruf ist gezählt, bitte auflegen.“
Das war genug, um 1981 einen ersten Kandidaten zum Wettkönig zu adeln: Es wurde Hans Oßner, der eine Wärmflasche bis zum Platzen aufblasen konnte. Bemerkenswerten Nachhall fand auch die Wette des damaligen Showgasts Karlheinz Böhm. Er wettete, dass nicht „jeder dritte Zuschauer eine D-Mark, einen Schweizer Franken oder sieben österreichische Schilling für Menschen in der Sahelzone spendet“. Es kamen zwar 1,2 Mio. D-Mark zusammen, dennoch behielt Böhm recht. Der Abend sollte zur Geburtsstunde des Hilfsprojekts Menschen für Menschen werden - das Geld diente als Startkapital für die Gründung der Stiftung.
„Geht an die Nieren“
Sechs Jahre präsentierte Elstner die Show selbst, dann verließ er die Sendung 1987, um neue Konzepte zu entwickeln - Gottschalk übernahm erstmals. 26 Jahre danach, im Vorjahr, erfuhren er und seine Moderatorenkollegen von der Entscheidung des ZDF, die Sendung einzustellen, und reagierten mit Wehmut. Gottschalk sagte damals, er trauere, „wie man so schön sagt, still“. Und Elstner ging das Aus der Sendung gar „an die Nieren“.
„Alleinstellungsmerkmale“ verloren
Doch das ZDF hatte seine Gründe, die Sendung abzudrehen: Programmdirektor Norbert Himmler erklärte die mangelnde Zugkraft mit dem Verlust an „Alleinstellungsmerkmalen“. „Keine Frage, ‚Wetten, dass..?‘ ist ein prägender Teil unserer Fernsehgeschichte, aber in den letzten Jahren hat sich doch einiges sehr nachhaltig verändert“, sagte Himmler nach Bekanntgabe des Aus. „Hollywood-Stars brachte früher nur ‚Wetten, dass..?‘ in die Wohnzimmer.“ Das habe sich radikal geändert. Und auch „besondere Talente“ gebe es „beim ‚Supertalent‘ am Fließband zu sehen“.
Die objektiven Kriterien hätten die Entscheidung, die Sendung zu beenden, gerechtfertigt, hieß es aus dem ORF. „Die Show hat sich in 34 Jahren tief in die Herzen ihrer Zuseher und ihrer Macher gegraben“, sagte ORF-Unterhaltungschef Andreas Vana. „Für jeden ist ‚Wetten, dass..?‘ auch ein Teil der eigenen Geschichte“, so Vana. Dass das Format, an dem das ZDF die Markenrechte hält, vielleicht doch und dann möglicherweise mit Gottschalk wiederbelebt werde, hält Vana für ausgeschlossen.
„Wir wollen kein Staatsbegräbnis“
Drei Folgen waren nach dem verkündeten Aus von „Wetten, dass..?“ noch angesetzt - mit dem letzten Akt am Samstag in Nürnberg. Zu einer Elefantenrunde soll es dort - so hieß es zumindest im Vorhinein - nicht kommen. Die drei Ex-Moderatoren werden laut ZDF nicht Teil der Show sein. „Wir wollen kein Staatsbegräbnis“, hatte der „Spiegel“ aus dem Sender erfahren. Und Gründer Elstner habe keine Lust, die Sendung zu Grabe zu tragen. Lediglich Lippert habe es laut „Spiegel“ bedauert, nicht dabei sein zu können.
Lanz bestreitet das Ende des Show-Dinosauriers also im Alleingang. Gesellschaft leisten ihm ein paar Stars, darunter gern geladene Stammgäste wie Schauspieler Til Schweiger sowie die Komiker Michael („Bully“) Herbig und Otto Waalkes. Auch die bei TV-Shows unabkömmliche Helene Fischer hat ihren Auftritt. Für den Hollywood-Aufputz soll der Schauspieler Ben Stiller sorgen. Zudem aufgeboten wird Hermann Maier. Auch der verunfallte Kandidat Samuel Koch wird auf der Couch sitzen. Und nicht zuletzt wird man auf das vielbesagte „Saalpublikum“ setzen können. Den Kritikern bietet sich eine letzte Chance für einen Abgesang auf „Wetten, dass..?“.
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Quelle: http://orf.at/stories/2257238/2257239/
Die schrägsten Wetten: http://orf.at/stories/2257238/2225102/
Die größten Aufreger: http://orf.at/stories/2257238/2257374/
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