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JVA Kleve: Was geschah in Zelle 143?
Zitat:
JVA Kleve
Was geschah in Zelle 143?
In der JVA Kleve bricht Feuer aus, ein Häftling stirbt. Es kommt raus: Der Mann hätte gar nicht im Gefängnis sitzen dürfen. Erst Wochen später wird der Brand untersucht.
Von Vanessa Vu
5. Oktober 2018, 13:24 Uhr 74 Kommentare

( Das Fenster der Zelle der JVA Kleve, in der Ahmed A. verbrannte. © Markus van Offern/Imago )
Als am Abend des 17. September ein Feuer in Ahmed A.s Haftzelle Nummer 143 ausbrach, hatte er nur noch eine Möglichkeit, um auf sich aufmerksam zu machen: "Schreien und rufen." So sagt es die Leitung der Justizvollzugsanstalt Kleve. Zwei Monate lang saß er in der Zelle – zu Unrecht, wie Staatsanwälte später festgestellt haben. Im Zimmer des 26-jährigen Syrers gab es keinen Rauchmelder, keinen Feuerlöscher und keinen Sprinkler. Dafür Dinge, die gut brennen: Holzmöbel, Bettwäsche, ein Fernseher. Die Tür zum Flur ist dicht, Gucklöcher wurden zum Schutz der Privatsphäre abgeschafft, es gibt auch keine Kamera, die das Geschehen hätte beobachten können. Ahmed A. war also allein und auf sich allein gestellt.
Als die Mitarbeiter – auf seinem Stockwerk waren gerade acht im Dienst – den Brand bemerkten, eilten sie zur Stelle und holten ihn heraus. Zu diesem Zeitpunkt hatte Ahmed A. jedoch schon schwere Verbrennungen. Im Krankenhaus versetzten ihn Ärzte in ein künstliches Koma und transplantierten ihm eine neue Lunge. Vergeblich. Fünf Tage später starb er. Auch zwei seiner Zellnachbarn hatten Rauchvergiftungen, zudem wurden acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gefängnisses verletzt, vier davon wurden in die Intensivstation eingeliefert. So eine Nacht, sagt der JVA-Verwaltungsleiter Wolfgang Fengels ZEIT ONLINE, habe er in vierzig Dienstjahren noch nicht erlebt. Seither stapeln sich auf Fengels Schreibtisch Anfragen von Justiz, Landtag und Medien, unentwegt klingelt sein Telefon. Allen soll er den Vorfall erklären: Erstens, wie kann ein Mann so lange unschuldig im Gefängnis sitzen, und zweitens, warum verbrennt jemand in seiner Gefängniszelle?
Der falsche Mann
A.s Ende beginnt mit einer Verwechslung. Nach Angaben der Polizei war er am 6. Juli in der niederrheinischen Stadt Geldern in einen Streit verwickelt, die Beamten nahmen ihn mit auf die Wache. Dort überprüften sie seine Personalien und gaben sie in das polizeiliche Informationssystem Viva ein. Das System schlug an: Die Hamburger Staatsanwaltschaft suchte einen Mann namens Ahmed A. mit Vollstreckungshaftbefehl. Der Gesuchte war wegen Diebstahls verurteilt und sollte eine mehrwöchige Haftstrafe antreten. Allerdings hieß der Mann, den Hamburg suchte, gar nicht Ahmed A., sondern benutzte den Namen nur als Decknamen. Er kam auch nicht aus Syrien, sondern aus Timbuktu in Mali.
Die Hamburger wussten von dem Spiel des Maliers mit verschiedenen Identitäten, vermerkten es entsprechend im Fahndungssystem. Die Polizisten in Geldern haben diesen Umstand aber offenbar ignoriert. Die unterschiedlichen Geburtsländer machten sie nicht misstrauisch, sie fertigten auch kein Foto an, um es mit den Daten der Hamburger abzugleichen. Sie brachten den echten Ahmed A. einfach in die Justizvollzugsanstalt in Kleve. Die Hamburger Staatsanwälte wurden stutzig und kontaktierten ihre Kollegen in Kleve: Am 19. Juli fragten sie, ob es einen Nachweis gebe, dass es sich bei dem Inhaftierten um den Gesuchten handelt. Und am 20. August, nachdem Kleve die erste Frage verneint hatte, auf Basis welcher Erkenntnisse der Gesuchte inhaftiert worden war.
Am 26. September, neun Tage nach dem tödlichen Feuer, informierte die Polizei die Staatsanwaltschaft Kleve darüber, dass man den Falschen inhaftiert hatte. Was in der Zwischenzeit passiert war, wird nun ermittelt.
Freiheitsberaubung im Amt
Das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen geht von Versäumnissen der Polizei in Kleve aus. Inzwischen wird gegen sechs Polizeibeamte wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung im Amt ermittelt. Eigene Versäumnisse weist die Landesregierung zurück. Der SPD-Fraktionsvize in NRW, Sven Wolf, warf dem Justizminister Peter Biesenbach (CDU) vor, das Parlament lückenhaft über den Vorfall unterrichtet zu haben, ihn heruntergespielt, wichtige Fakten verschwiegen und "objektiv die Unwahrheit" gesagt zu haben. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Stefan Engstfeld, sprach von einem "unfassbaren Justizskandal". Das Justizministerium widersprach: "Minister der Justiz Peter Biesenbach hat entgegen anderslautender Behauptungen kein eigenes Wissen verschwiegen." Die Staatsanwaltschaft Kleve habe erstmalig am 26. September 2018 gegen 17.20 Uhr von einer möglichen Verwechslung erfahren und diese Information noch am selben Abend weitergeleitet. An diesem Freitagnachmittag wollen der Innen- und Justizausschuss eine gemeinsame Sondersitzung abhalten und die Widersprüche aufklären.
Von den Umständen der unrechtmäßigen Haft unberührt bleibt aber die Frage nach dem Brand. Bei vielen weckt er Erinnerungen an den Fall Oury Jalloh im Jahr 2005. Die Parallelen fallen auf: Oury Jalloh war wie Ahmed A. ausländischer Staatsbürger, nach einem Streit wurde er in Polizeigewahrsam genommen, und bei beiden wurde nach dem tödlichen Feuer spekuliert, sie hätten es selbst gelegt. Oury Jalloh mit einem Feuerzeug, was nie zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, und Ahmed A. mit einer Zigarette.
Warum kam der Brandgutachter so spät?
Dennoch wäre eine Gleichsetzung nach derzeitigem Stand der Dinge unangebracht. Im Fall Oury Jalloh vermutet der leitende Staatsanwalt Folker Bittmann, wenn auch erst nach einem Jahrzehnt Ermittlungspannen, dass Jalloh ermordet wurde: von Polizisten. Sie könnten, so Bittmanns Vermutung, Jalloh mit Brandbeschleunigern übergossen und angezündet haben, um frühere Ungereimtheiten im Polizeirevier Dessau-Roßlau zu vertuschen. Die Staatsanwaltschaft Halle stellte im Oktober 2017 den Fall trotz Bittmanns Vertuschungsmord-These ein.
Im Fall Ahmed A. ist die Ausgangslage eine ganz andere. In Polizeigewahrsam werden den Inhaftierten in der Regel alle Gegenstände abgenommen, insbesondere auch Waffen und Entzündliches. Oury Jalloh wurde außerdem fixiert. Die Matratze in seiner Zelle war feuerfest, ansonsten befanden sich kaum Möbel darin. Ein Suizid durch Brandstiftung, wie er lange Zeit von den Behörden unterstellt wurde, ist unter solchen Umständen eigentlich unmöglich.
In Justizvollzugsanstalten hingegen sind die Hafträume eingerichtet, mit Holzmöbeln und Elektrogeräten. Manche Häftlinge haben auch Bücher und Zeitungen, außerdem dürfen sie in ihrem Zimmern rauchen. "Die meisten rauchen da", sagt der Klever JVA-Verwaltungsleiter Wolfgang Fengels. Es ist also immerhin theoretisch möglich, dass zum Beispiel Zigarettenglut auf etwas Flammbares fällt oder ein defektes Kabel anfängt zu brennen und der Eingesperrte dann keine Fluchtmöglichkeit hat. Nach Angaben des Justizministeriums in NRW kam es allein in dem Bundesland in den vergangenen zehn Jahren zu 25 Bränden in Gefängniszellen. Manchmal enden die Zellraumbrände auch tödlich für die Häftlinge, zum Beispiel im Oktober 2013 in der JVA Geldern-Pont oder im Oktober 2011 in der JVA Neumünster in Schleswig-Holstein.
Brandbeschleuniger verfliegen nach wenigen Tagen
Rätselhafter als das Feuer an sich ist im Fall Kleve die schleppende Aufklärung. Nach Informationen von ZEIT ONLINE kamen erst am Mittwoch Brandsachverständige zum Tat- oder Unfallort – also zweieinhalb Wochen nach dem tödlichen Brand am 17. September. Die Staatsanwaltschaft in Kleve hat nach eigenen Angaben nach dem Brand ein Gutachten angefordert, Angaben zum genauen Tag machte sie nicht. Warum es erst jetzt erstellt werde, könne er nicht erklären, sagte Oberstaatsanwalt Günter Neifer.
Der JVA-Verwaltungsleiter Fengels vermutet dahinter einen Zuständigkeitskonflikt: Die Klever Polizei könne selbst nicht ermitteln, wenn im selben Fall Ermittlungsverfahren gegen sie liefen. Die neuen Brandsachverständigen kommen daher aus Krefeld. Nur: Der Zuständigkeitskonflikt durch die Verwechslung ergab sich nach den derzeitigen Angaben erst Tage nach dem Brand; warum bis dahin kein Experte die Zelle nach Brandursachen untersucht hat, bleibt offen.
Für Brandexperten ist der späte Einsatz von Brandsachverständigen ungewöhnlich. Der private Sachverständige Sebastian Herrgesell aus Sachsen-Anhalt sagt, dass die Staatsanwaltschaft polizeiliche oder private Sachverständige so schnell wie möglich, in der Regel noch am Folgetag rufe. Gerade wenn es zu sogenannten Personenschäden komme, sei der Ermittlungsdruck hoch. Zwar sei es in geschlossenen Räumen auch noch nach Wochen möglich, sich ein Bild zu machen. Brandbeschleuniger zum Beispiel würden aber nach wenigen Tagen verfliegen und seien dann nur noch schwer nachweisbar.
In drei bis vier Wochen wollen die Brandsachverständigen aus Krefeld erste Ergebnisse vorlegen.
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Ich muss ehrlich sagen, mir fehlen die Worte!
Wie kann der Mann in der Zelle verbrennen? Überall soll es jetzt Rauchmelder geben, die Zelle war gut möbliert sogar, aber Notfallsystem(Rauchmelder) wie es sonst vorgeschrieben ist überall, gibt es da nicht? Völlig unverständlich für mich.
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"Mitleid und Erbarmen hielten Bilbos Hand zurück. Viele, die leben, verdienen den Tod und manche, die sterben, verdienen das Leben. Kannst du es ihnen geben, Frodo? Dann sei nicht so rasch mit einem Todesurteil bei der Hand. Selbst die ganz Weisen erkennen nicht alle Absichten. Mein Herz sagt mir, dass Gollum noch eine Rolle zu spielen hat, zum Guten oder zum Bösen, ehe das Ende kommt." (Gandalf zu Frodo)
Geändert von Wornat1959 (05.10.18 um 15:06 Uhr)
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