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Interview mit Prof. Wilhelm Heitmeyer

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Ungelesen 05.06.12, 08:54   #1
Zexi
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Standard Interview mit Prof. Wilhelm Heitmeyer

Heute erschien ein exzellenter Artikel in der Frankfurter Rundschau, ein paar interessante Aussagen zitier ich hier mal :

Quelle : [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
Zitat:
Der Bielefelder Soziologe und Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer über Leben in der Krise als Dauerzustand, die Abschaffung von Kindheit und Jugend und seine Skepsis gegenüber den Stimmungs-Patrioten bei der Fußball-Europameisterschaft.
Zitat:
Professor Heitmeyer, in Ihrer Langzeitstudie über die „Deutschen Zustände“ haben Sie alarmierende Fakten darüber zusammengetragen, wie die Gesellschaft mit schwachen Gruppen umgeht. Vieles davon ist aktuell wie nie. Gilt für Sie als Soziologe der Satz: Krisenzeiten sind gute Zeiten?

Heitmeyer :
Ich gehe mit dem Begriff der Krise zurückhaltend um, weil er sonst inflationär wird und sich abnutzt. Er ist dann angebracht, wenn bei nachlassendem Druck der vorherige Zustand nicht wieder hergestellt werden kann. Und das ist im Hinblick auf die Finanzkrise der Fall. Sie hat den Druck im gesellschaftlichen Gefüge verstärkt. Zugleich sind die Auswirkungen nicht sofort sichtbar, weil es sich um schleichende Prozesse handelt wie die Ökonomisierung des Sozialen, die Demokratie-Entleerung und auch eine spezifische Orientierungslosigkeit, wohin sich die Gesellschaft entwickelt.
Zitat:
Ist es denn nicht das Wesen jeder Veränderung, dass die Dinge hinterher anders sind als vorher?

Heitmeyer :
Schon. Aber Sie blenden bei dieser lapidaren Betrachtung aus, dass es Gewinner und Verlierer der Veränderungen gibt. Die OECD bescheinigt gerade dem reichen Deutschland seit längerem eine massive Zunahme sozialer Spaltung durch eine immer größere Ungleichheit der Einkommen. Wachsende Ungleichheit aber ist für jede Gesellschaft auf Dauer zerstörerisch. Ich kann nicht erkennen, dass die Politik dieser Entwicklung aktiv begegnet. Sonst müsste es zum Beispiel eine andere Steuerpolitik geben. Zudem haben wir Glück gehabt, dass die verschiedenen Krisen zeitlich „gestaffelt“ und nicht kumulativ aufgetreten sind.
Zitat:
Was können Sie über diese Strategien sagen?

Heitmeyer :
Ganz typisch ist erstens eine Aufspaltung der Realität. Viele Befragte sagten: „Der Gesellschaft geht es schlecht, aber mir persönlich geht es gut.“ Man errichtet also ein Schutzschild positiver Gefühle und Selbstbeschreibungen um sich. Zweitens gibt es eine gegenteilige Strategie, das sind kollektive Schuldzuweisungen. So ist es kein Zufall, dass in der Finanzkrise plötzlich wieder die „jüdischen Banker von der US-Ostküste“ als Drahtzieher ausgemacht wurden. Und drittens ist da die immunisierende Fiktion, selbst zu den Gewinnern zu gehören – in einer Siegergesellschaft auf der Seite der Verlierer zu stehen oder sich selbst als Loser zu sehen, ja, das ist das Schlimmste, was einem passieren kann, das darf man nicht zulassen. Schon allein wegen des Ansehens in der nahen sozialen Umgebung.
Zitat:
Können sich Langzeitarbeitslose oder Jugendliche ohne Aussicht auf eine Lehrstelle überhaupt als Gewinner fühlen?

Heitmeyer :
Nein. Bei denen funktioniert diese Strategie nicht. Die ziehen sich zurück, werden apathisch oder zum Teil auch aggressiv. Hinzu kommt, dass sie besonders abgewertet werden. Dabei spielen die Besserverdienenden eine zweifelhafte Rolle. Und der Vertrauensentzug gegenüber dem demokratischen System ist enorm. Es ist hochproblematisch, wenn die Kernnormen, die eine Gesellschaft zusammenhalten – Gerechtigkeit, Fairness, Solidarität –, einer erheblichen Anzahl der Menschen inzwischen als nicht mehr realisierbar gelten.
Zitat:
Mit der Konsequenz, dass sich keiner mehr zu Fairness verpflichtet fühlt?

Heitmeyer :
Keiner ist übertrieben, aber es greift in der Tat eine Entmoralisierung um sich. Das Prinzip der Gleichwertigkeit aller Menschen wird aufgekündigt. Das heißt, man wertet andere Menschen ab, insbesondere schwache Gruppen, um sich selbst aufzuwerten. Und die Maxime „Rette sich, wer kann“ gewinnt an Bedeutung. Übrigens ist das ein wesentlicher Grund dafür, dass es insgesamt bislang kaum zu nennenswerten kollektiven Protesten gekommen ist. In einer individualisierten Gesellschaft entsteht dafür kein Bewusstsein mehr.
Zitat:
Bei den Occupy-Protesten, zuletzt in Frankfurt, gingen immerhin Zehntausende auf die Straße.

Heitmeyer :
Gegen Ansätze wie die Occupy-Bewegung ist die Staatsmacht, speziell in den USA, mit einer martialischen Kontrolldrohung vorgegangen, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Ich konnte das in New York selbst beobachten. Das ist die praktizierte staatliche Verlängerung des autoritären Kapitalismus. Und das Signal gerade an junge Leute ist klar: „Bewegt euch ja nicht! Sonst kriegt ihr richtig Ärger.“
...

Zitat:
Wie wirkt es sich aus, wenn sich die Entwicklung so massiv umkehrt, dass die Jugend heute als „verlorene Generation“ bezeichnet wird?

Heitmeyer :
Das ist international unterschiedlich. In Deutschland ist die Jugendarbeitslosigkeit mit neun Prozent nicht so hoch, dass der Begriff der „verlorenen Generation“ berechtigt wäre. In Griechenland und Spanien schon, annähernd auch in Italien und in den segregierten Vierteln britischer Großstädte. In Frankreich sind die Einwanderer aus dem Maghreb schon so lange abgehängt, dass das „Verloren-Sein“ der jungen Generation ein Dauerzustand geworden ist. Die Folgen in den Ban- lieues können wir seit Jahren immer wieder besichtigen.
Zitat:
In manchen Ländern gibt es Aufruhr und politische Gewalt. Warum ist das in Deutschland bisher nicht so?

Heitmeyer :
Es gibt Vergleichsprozesse nicht nur zwischen Menschen innerhalb eines Landes, sondern in verschiedenen Ländern. Wenn Jugendliche in Deutschland sehen, wie dreckig es ihren Altersgenossen in Spanien oder Griechenland geht, sagen sie sich: „Da sind wir noch gut dran.“ Und schon zerbröselt – trotz aller Unklarheit über die eigene Zukunft und die Zukunft der Gesellschaft – ein Motiv für kollektiven Protest.
Das ganze Interview mit Prof. Heitmeyer gibt es hier : [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
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