[Draalz]

Freiheitsstatue im Qualm kanadischer Waldbrände: Ein anderer Blick auf die Welt Foto: Yuki Iwamura / dpa

Mitten in der Klimakrise

Die »Oh Shit«-Momente häufen sich

Eine Kolumne von [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]

Es gibt einen Kipppunkt, nach dessen Überschreitung man versteht: Ja, das mit der Klimakrise ist wirklich so nah und bedrohlich, wie man uns erzählt hat. New York hat gerade einen erlebt. Das ist erst der Anfang.

11.06.2023, 15.53 Uhr

»Wenn es um den Klimawandel geht, hat jeder irgendwann einen ›Oh Shit‹-Moment – das ist der Moment, wenn klar wird, wenn die Leute verstehen, was wirklich auf dem Spiel steht.« Mit diesem Satz [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] der Journalist und Sachbuchautor Jeff Goodell in dieser Woche im »Rolling Stone« den ehemaligen Vizepräsidenten [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Die Überschrift von Goodells Text lautet übersetzt: »Die Klimakrise war immer real. Jetzt ist sie in Euren Lungen.«

Ich habe diesen »Oh Shit«-Moment in dieser Kolumne vor ein paar Jahren einmal mit dem Moment verglichen, in dem klar wird, dass das Flugzeug, in dem man gerade den Atlantik überquert, [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Nach dieser Erkenntnis ist nichts mehr wie vorher, Prioritäten verschieben sich, Zukunftspläne müssen dringend überdacht und angepasst werden.

Psychologisch betrachtet sind »Oh Shit«-Momente gewissermaßen Kipppunkte, bei denen die kognitiven Abwehrmechanismen, mit denen sich unsere Köpfe gegen das Akzeptieren des Unerhörten wehren, endlich versagen. Ja, es stimmt wirklich: Die Menschheit ist dabei, ihren eigenen Lebensraum irreparabel zu zerstören, und die Katastrophen haben längst begonnen.

Kanadischer Qualm in New York und Washington

Diese »Oh Shit«-Momente sind aber bislang weiterhin keine global geteilten Ereignisse wie die Terroranschläge vom 11. September 2001, sondern regionale oder sogar individuelle Erlebnisse. In New York, Washington und anderswo im Osten der [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] dürften in den vergangenen Tagen Hunderttausende oder sogar Millionen ihren persönlichen »Oh Shit«-Moment durchlebt haben. Wenn man mitten in den Vereinigten Staaten plötzlich den Qualm kanadischer Waldbrände einatmet, verändert das den Blick auf die Welt womöglich nachhaltig.

Natürlich wurden von den Fans fossiler Brennstoffe, [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die kognitiven Abwehrmechanismen des eigenen Publikums auch gegen diesen potenziellen Kipppunkt in Stellung zu bringen. [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] wird ja gerne durch Abwertung dissonanter Information bekämpft, weil dieser Missklang im Kopf so unangenehm ist. Diese Woche klang die Abwertung dissonanter Information im Auftrag der Öl-, Kohle- und Gaskonzerne zum Beispiel so:

• »Es gibt keinerlei Gesundheitsgefährdung (…) wir haben solche Luft in [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] oder China andauernd (…) in China wäre das saubere Luft.« Steven Milloy, seit Jahrzehnten Tabakindustrie- und Fossillobbyist sowie Anti-Wissenschafts-Blogger [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ].
• »Es riecht wie Holzrauch, es ist eigentlich kein unangenehmer Geruch (…), es ist hübsch, es erzeugt eine schöne, interessante Aura.« Moderator [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ].
• »Das ist jetzt nicht der Moment, den Leuten Vorträge über die Wissenschaft des Klimawandels zu halten.« Der Republikaner-Abgeordnete [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ].

Solche Abwieglungs- und Desinformationsstrategien dürften nur noch bei Leuten verfangen, die dank jahrzehntelanger Desinformation schon völlig den Kontakt zur Realität verloren haben oder, worauf [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] vermutlich spekuliert, weit genug vom Rauch entfernt wohnen. Und das sind in den USA leider viele.

Zur Erinnerung: Eine [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] ergab, dass von den Anhängern der Republikaner nur 23 Prozent den Klimawandel für eine große Bedrohung halten. Nirgendwo war fossile Desinformation erfolgreicher als in dieser Zielgruppe. Über die Gesamtbevölkerung der USA hinweg sind es deshalb nur 54 Prozent. Das ist unter den Industrienationen ein krasser Ausreißer nach unten. In den meisten davon halten etwa drei Viertel oder noch mehr die Klimakrise für sehr bedrohlich. Irgendwann werden es an die 100 Prozent sein, aber womöglich zu spät.

Die Desinformierten sind bares Geld wert

Für die Propagandisten der Fossilbranchen sind die Millionen Desinformierten viele Milliarden Dollar wert. Solange es Leute gibt, die bereit sind, auch den Rauch in ihren Lungen den »woken Kanadiern« (»Newmax«) statt der menschengemachten Klimakatastrophe zuzuschreiben, werden Verhalten und Gesetzgebung sich weiterhin nur langsam ändern. So langsam, dass man weiterhin schön Geld mit Roh-CO? verdienen kann.

In [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] ist die Sachlage anders: Bei uns nannten der Pew-Studie zufolge 73 Prozent den Klimawandel eine große Bedrohung. Dieses Jahr wird diese Zahl weiter steigen, denn das Jahr 2023 hält auch für uns Deutsche noch einige potenzielle »Oh Shit«-Momente bereit.

Vermutlich auch für die Leserinnen und Leser der »Bild«-Zeitung, die diese Woche ernsthaft in großen Buchstaben fragte: »Warum ist es jetzt schon wieder so trocken?«

Ja, [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]

Für jede Menge »Oh Shit« -Momente wird das sorgen, was im Moment mit den Weltmeeren passiert: Die Oberflächentemperatur liegt zum Beispiel im Atlantik zurzeit [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], was wohl an einer Kombination von Einflüssen liegt, von der Erderwärmung über »El Niño« bis hin zu geringeren Schwefelemissionen von Schiffen.

Gleichzeitig ist das Meereis in der Antarktis viel dünner, als das zu dieser Jahreszeit normal wäre, [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Beides dürfte globale Folgen für das Risiko von Ex<t>remwetterereignissen haben.

Es wird jede Woche absurder

Mit reinrassiger Klimawandelleugnung blamiert man sich in Deutschland mittlerweile zum Glück außerhalb der Kernzielgruppe der AfD. Aber die These, dass die rasant zunehmenden Wetterex<t>reme der Gegenwart gar nicht so viel mit unseren CO?-Emissionen zu tun haben, ist bei Springer-Zeitungen und anderswo nach wie vor populär. Bestimmt auch bei [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], in [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], bei Leag, Mibrag und [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], um nur ein paar Beispiele zu nennen. Und Abwieglungsstrategien findet man von [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ].

Der Präsident der nächsten Weltklimakonferenz ist weiterhin ein Mann, dessen eigentlicher Arbeitgeber, die Ölgesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate, gerade [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Es wird jede Woche absurder.

Fakt ist: Der kanadische Mai war der heißeste in der Geschichte der Aufzeichnungen und der siebttrockenste. Die Tatsache, dass der Rauch jetzt über das am dichtesten besiedelte Gebiet der USA zieht (was das Thema überhaupt erst in den Fokus der globalen Aufmerksamkeit rückt, weil es die »Oh Shit«-Momente multipliziert), hat [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ].

Diese Phänomene sind [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] natürlicher Wetterphänomene. Sie sind Auswirkungen der globalen Erhitzung, und sie werden schnell schlimmer. Die Brände des noch nicht einmal halb vergangenen Jahres 2023 in Kanada haben bereits jetzt eine Waldfläche vernichtet, die [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], wie das bislang als »normal« galt. Und die abgebrannte Fläche ist bereits mehr als doppelt so groß wie im auch schon schlimmen Jahr 2022.

Wann kommt Aiwangers »Oh Shit«-Moment?

Auch in Deutschland brennt der Wald bekanntlich bereits jetzt. Diese Woche fachten kräftige Winde die Feuer in Brandenburg [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Einmal mehr ist das Problem für die Feuerwehren noch größer als ohnehin schon, weil das brennende Gebiet »munitionsbelastet« ist, wie das auf Amtsdeutsch heißt.

Originellerweise erklärte Hubert [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] Aiwanger von den Freien Wählern, der in Bayern gerade Wahlkampf macht, diese Woche im Zusammenhang mit einem Bild vom Rauch-verdunkelten New York: »Die Grünen zerstören unsere Freiheit.« Der Mann wäre bei »Fox News« oder »Newsmax« gut aufgehoben – wenn denn das [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] –, ganz sicher aber nicht in Regierungsverantwortung mitten in der größten Krise der Menschheitsgeschichte.

Immer daran denken: Das alles ist weiterhin [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Die ersten schamhaften Vorboten der richtigen Ex<t>remwetterkatastrophen, die uns erwarten, wenn die Temperaturen weiter steigen.

Mal sehen, wann Leute wie Aiwanger ihren »Oh Shit«-Moment erleben. Dass er kommt, ist sicher.

[ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]
Stöcker schreibt meist in einem sarkastischen Ton, aber in diesen Zeilen lese ich auch Zorn und da frage ich mich, wieviel ist Meinungsfreiheit wert, wenn sie von bewusster Desinformation missbraucht wird?
Desinformation aus völlig egoistischen Gründen.
Die Zivilisation, die Menschen sind vom globalen Klimawandel komplett überfordert und da ist es doch schön, wenn man sich an E-Fuels, oder die Aussage, dass alles nicht so schlimm wird, klammern kann.

[Uwe Farz]

Zitat von Draalz

Desinformation aus völlig egoistischen Gründen.
Die Zivilisation, die Menschen sind vom globalen Klimawandel komplett überfordert und da ist es doch schön, wenn man sich an E-Fuels, oder die Aussage, dass alles nicht so schlimm wird, klammern kann.

Das wird auch nix mehr werden. Möchtegern Kanzler Söder, der immer öfter wie ein DeSantis um die Ecke kommt, zeigt, wo es lang geht:

„Stoppt die Heizungsideologie“ Populistische Dämonisierung mit Ministerpräsident

Warum suchen immer wieder rechtskonservative Menschen ihr Heil im Rechtspopulismus? Das jüngste Beispiel Markus Söder zeigt: Gewinnen können dabei nur die Populist*innen.



Hier gehts weiter:
[ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]

Klebe Klima Aktivisten das Öko Terror Label auf die Stirn und die breite Masse nimmt das dankbar auf. Muss man doch auf diese Art das eigene Gewissen nicht weiter belasten.
Die gleiche Vorgehensweise findet sich 1:1 in Frankreich.