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Boris Pistorius: In Deckung!

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Ungelesen 27.05.24, 17:38   #1
ziesell
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Standard Boris Pistorius: In Deckung!

Zitat:
Boris Pistorius: In Deckung!

Boris Pistorius ist der beliebteste Politiker des Landes. Von seiner SPD wird er allerdings zunehmend alleingelassen – und vom Kanzler ganz besonders.



Als SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert Ende April einen Kinosaal in Berlin-Moabit betritt, um die Kampagne der Genossen für die anstehende Europawahl zu präsentieren, passiert er ein Filmplakat, das ahnen lässt, was den Sozialdemokraten in den kommenden Wochen noch einigen Kummer bereiten wird: Das Gespenst der Freiheit. Zwar ist die Freiheit seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine das zentrale Motiv allen politischen Denkens und Handelns in Europa. Doch im Wahlkampf der SPD erscheint sie im Frühsommer 2024 ähnlich wie in der filmischen Gesellschaftssatire des großen Luis Buñuel aus dem Jahr 1974 – als surreal spukender Geist.

Nicht der Kampf für die Freiheit steht im Kampagnenzentrum der Kanzlerpartei, sondern die unbestimmte Sehnsucht nach einem "Frieden", der nicht näher definiert wird und daher als Plakatphrase herhalten muss: "Für Maß, Mitte und Frieden", "Frieden sichern – SPD wählen". Und da der Kanzler sich dessen rühmt, heißt es auch noch "Besonnen handeln". Nach rund vier Wochen Friedenswahlkampf zeigt sich, dass dieser vor allem bei jener Bevölkerungsgruppe verfängt, die dafür schon immer besonders empfänglich war – bei den Sozialdemokraten selbst.

Die Selbstfeier als Friedenspartei schlägt sich zwar nicht in den Umfragen nieder, wohl aber im Umgang der Genossen mit Verteidigungsminister Boris Pistorius, Deutschlands beliebtestem Politiker. Der Wahlvolksheld Pistorius steht gut zwei Wochen vor der Europawahl so da, wie der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering sich einst selbst beschrieben hat: als Alleiner. Alleingelassen von der Bundestagsfraktion, die ihm nicht folgt. Von der Parteispitze, die abtaucht. Und vom Kanzler, der in ihm zunehmend einen Konkurrenten sieht.

Pistorius verdankt seinen kometenhaften Aufstieg vom niedersächsischen Landespolitiker zum bundesweiten Publikumsliebling – neben der Underperformance seiner Amtsvorgängerin Christine Lambrecht – seiner klaren Sprache, seinen klaren Ansagen, seinem klaren Kurs. Doch je klarer er auftritt, desto unklarer wird, ob seine Partei ihn noch unterstützt. Jüngst ist er mit zwei Vorstößen im sozialdemokratischen Niemandsland gestrandet.

Zum einen will Pistorius seinen Verteidigungsetat – allen Sparvorgaben für andere Ressorts zum Trotz – im kommenden Jahr um 6,5 Milliarden Euro angehoben sehen. "Sonst droht ein Rüstungsstopp", verkündete er. Zwei Fregatten, zwei U-Boote, weitere Panzer und Kampfjets, die Pistorius über die Beschaffungen aus dem 100 Milliarden Euro starken Sondervermögen hinaus für notwendig hält, um die Bundeswehr auf "kriegstüchtig" zu trimmen, könnten dann nicht bestellt werden. Aus der SPD-Bundestagsfraktion schallte ihm entgegen, die Sozialdemokratie verfolge das Konzept einer vernetzten Sicherheit, das neben der Verteidigung auch auf Diplomatie und Prävention setze. Folglich müsse, wie vereinbart, jeder Euro mehr für die Verteidigung auch je einen Euro mehr für das Auswärtige Amt und die Entwicklungszusammenarbeit nach sich ziehen. Da sich jüngst zu dem bereits feststehenden Sparvolumen von rund 25 Milliarden Euro laut Steuerschätzung noch einmal Mindereinnahmen in Milliardenhöhe gesellten, ist das eine geradezu utopische Forderung. Sie dient nur dazu, dem forsch fordernden Genossen Pistorius klarzumachen: ohne uns.

Als ihm diese Stimmung jüngst bei einem Frühstück mit Ampelpolitikern entgegenschlug, ließ sich ein sichtlich aufgebrachter Pistorius zu einem Satz hinreißen, der wie eine Rücktrittsdrohung klang, aber, wie er kurz darauf selbst anmerkte, keine sein sollte. Doch sein "Ich muss das hier nicht machen" steht seitdem im politischen Raum.

Das unschöne Wort "Pflicht"

Überaus unterkühlt reagierten die SPD-Abgeordneten auch auf die Ankündigung des Verteidigungsministers, bis Ende Mai seine Pläne vorzustellen, wie er die Personalnot der Bundeswehr zu beenden gedenkt. Bis zum Jahr 2031 soll die Truppe auf 203.000 Soldaten und Soldatinnen anwachsen. Da aber aktuell nicht einmal die noch geltende Sollstärke von 185.000 Kräften erreicht wird – derzeit leisten rund 181.500 Männer und Frauen ihren Dienst –, kommt Pistorius kaum umhin, ein Konzept vorzulegen, in dem das unschöne Wort "Pflicht" auftaucht. Sollte es, wofür manches spricht, auf eine Art soziales Pflichtjahr hinauslaufen, in dem als Option auch der Dienst in der Bundeswehr möglich ist, darf der Verteidigungsminister mit reichlich friendly fire, also Beschuss aus den eigenen Reihen, rechnen. Bisher, so hielt ihm die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, bissig vor, könne man ja noch nicht einmal "allen, die den Bundesfreiwilligendienst leisten wollen, einen Platz zur Verfügung stellen". Botschaft hier: Lass mal stecken, lieber Boris.

Vom Kanzler darf Pistorius kaum Unterstützung erwarten, eher das Gegenteil. Als Scholz bei seiner jüngsten Schweden-Reise gefragt wurde, wo er eigentlich in der Wehrpflicht-Debatte stehe, ob er – wie Pistorius – das schwedische Modell einer Musterung aller jungen Männer und Frauen eines Jahrgangs für einen gangbaren Weg halte, hätte er seinen stärksten Minister noch stärker machen und die SPD als eine politische Kraft präsentieren können, die auf Veränderung drängt, die verstanden hat. Endlich packt einer das drängendste Problem der Truppe an, hätte Scholz sagen können. Endlich passiert, was schon lange nötig ist. Pistorius geht voran – und ich und die gesamte SPD folgen ihm. Doch statt der pathetischen Lobrede auf den einzigen Sozialdemokraten, der noch beim Volk ankommt, redet der Kanzler im tonlosen Scholz-Duktus den Vorstoß klein: "Es geht um eine überschaubare Aufgabe, die wir bewältigen müssen." Dafür gebe es Vorschläge, die mit der "Wehrpflicht von einst" überhaupt nicht vergleichbar seien. "Deshalb ist es, glaube ich, auch gut, dass wir abwarten, bis da ein abgewogener Einfall da ist."

Nicht nur die Verteidigung hat Verfassungsrang

Was Pistorius als entscheidend für die Zukunft der Bundeswehr betrachtet hat, erklärt der Kanzler öffentlich zur "überschaubaren Aufgabe". Das Profilierungsthema seines wichtigsten Ministers degradiert Scholz somit zum gehobenen Pillepalle. "Wir brauchen ein anderes Mindset, einen Mentalitätswechsel", sagt Pistorius bei jedem Auftritt. Bei seinem Kanzler scheint er mit dieser Forderung noch nicht ganz angekommen zu sein.

Als der Spiegel den Vorgang in Schweden zum Anlass nimmt, den Beginn eines Machtkampfs zwischen Kanzler und Verteidigungsminister zu verkünden, und seine entsprechende Geschichte mit der Überschrift "Wie Olaf Scholz seinen größten Konkurrenten ausbremst" versieht, bemüht sich das Kanzleramt zwar klarzustellen, Scholz habe nur betonen wollen, dass die alte, ausgesetzte Wehrpflicht auf keinen Fall reaktiviert werde, was ja auch Pistorius nicht wolle. Doch ein Eindruck hat sich da längst festgesetzt: Dem nicht so beliebten Kanzler passt es ganz gut, wenn der überaus beliebte Verteidigungsminister auch mal so daherkommt, wie zahlreiche von dessen Vorgängern ihr Amt am Ende verlassen haben – geschreddert.

Zu diesem Eindruck trägt bei, dass Scholz Pistorius mit seiner Forderung nach einer Etaterhöhung hat auflaufen lassen. Über Wochen hatte Pistorius den Finanzminister ebenso lautstark wie erfolglos dazu ermahnt, seinen Widerstand gegen eine Reform der Schuldenbremse aufzugeben – und war dann einen Schritt weiter gegangen. Von Juristen in seinem Haus ließ er ein Gutachten anfertigen, das zu dem Schluss kam, die Verteidigung des Landes sei ebenso Verfassungsauftrag wie die Schuldenbremse, ergo: Die Kosten dafür seien gesondert zu bewerten, fielen also nicht unter den vorgegebenen Sparzwang.

Die Co-Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, ließ daraufhin wissen, sie halte den Pistorius-Vorstoß für "sehr fragwürdig", schließlich gebe es "ein paar mehr Aufgaben mit Verfassungsrang". Von ihrem Co-Vorsitzenden Lars Klingbeil war dazu nichts zu vernehmen. Ohnehin ist seine Unauffälligkeit in den Debatten um die Verteidigungspolitik besonders auffällig, da Klingbeil kurz nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine in einem bemerkenswerten Strategiepapier Fehler der Sozialdemokraten im Umgang mit Russland eingeräumt und verkündet hatte, in Europa müsse künftig Sicherheit vor Russland und nicht mehr mit Russland organisiert werden. Dumm nur: Die von ihm angekündigte Aufarbeitung der Vergangenheit hat zu einem Wahlkampf geführt, der reichlich unreflektiert das alte Selbstbild der Genossen als Friedenspartei bedient. Wenn gelernt wäre, dass im Zeitalter Putinscher Großmachtfantasien Frieden ohne massive Abschreckung nicht zu haben ist, würden sich die Genossen um ihren Verteidigungsminister versammeln. Anstatt ihn zunehmend zu isolieren.

Konkurrenten kleinhalten

Und der Kanzler? Der hat zugeschaut und zugehört, wie Pistorius immer lauter eine Erhöhung seines Etats forderte, wie er mit seinem Gutachten argumentierte und wie die Genossen über das "rasch zusammengeschusterte" Papier spotteten, das aussehe, so ein Bundestagabgeordneter, als sei es "zwischen Wecken und dem Erstellen des Tagesbefehls" entstanden. Und nachdem Scholz all dem zugeschaut und all das gehört hatte, stellte er sich hinter Christian Lindner sowie dessen politischen Fetisch, die Schuldenbremse, und ließ wissen: "Jetzt ist erst mal Schwitzen angesagt."

Wenn sich die drängendsten Probleme der Gegenwart, der militärische Revanchismus Russlands und der Klimawandel, innenpolitisch zuspitzen, neigt der Kanzler zu einer recht eigenwilligen Haltung: So wie Olaf Scholz einst beim Streit um die Wärmepumpe Wirtschaftsminister Robert Habeck alleinließ, so lässt er nun in den Debatten um den Verteidigungshaushalt und die Personalnot der Bundeswehr Boris Pistorius allein. Lerneffekt: Zwei Dinge sollte man im Kabinett Scholz besser lassen. Großprobleme entschieden anpacken – und beliebter werden als der Kanzler.

Erstaunlich entspannt angesichts des Drucks wirke Pistorius, meint jemand, der ihn regelmäßig erlebt. Er sei halt ein Profi, für den Genöle aus den eigenen Reihen nichts Neues sei. Seine Lust, die Dinge zu verändern, sei jedenfalls unverändert spürbar.

Interessant dürfte nun werden, wie sich die Abgeordneten und der Kanzler gegenüber dem eigentlichen Vorzeigeprojekt von Pistorius verhalten, der Litauen-Brigade. Denn da droht Ungemach. Knapp 5.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sollen nach dem Willen des Verteidigungsministers bis Ende 2027 dauerhaft in Litauen stationiert werden, um die Ostflanke der Nato zu sichern. Dauerhaft heißt: mit ihren Familien. Die Probleme sind vielfältig. Es gibt zu wenig Freiwillige, die Anlaufkosten von bis zu neun Milliarden Euro sind nicht nur immens hoch, sondern auch – so hört man im Finanzministerium – regierungsintern nicht abgestimmt. Zudem streiten Deutschland und Litauen hinter den Kulissen darüber, wie die noch zu bauenden litauischen Kasernen aussehen und ausgestattet sein sollen. Der litauischen Seite schwebt eher heimischer Standard vor, der deutschen eine Art Flecktarn de luxe. Nur so glaubt man genug Interessierte finden zu können. Bündnisverteidigung im Schöner Wohnen-Style.

Für Pistorius lauern da viele Gefahren – und für den Kanzler im Zweifelsfall viele Gelegenheiten, einen möglichen Konkurrenten kleinzuhalten.

Jemand muss es ihm sagen

Die SPD steckt rund 16 Monate vor der nächsten Bundestagswahl in einer paradoxen Situation: Der Mann, dem sie nicht oder nur widerwillig folgt, könnte sich als ihre einzige Chance entpuppen, im Herbst 2025 das Kanzleramt zu retten. Und, in diesem Fall mindestens genauso wichtig, die Karrieren zahlreicher Abgeordneter.

Sollten, wofür sehr viel spricht, die Sozialdemokraten am Ende des laufenden Superwahljahres mit einer Europawahl und drei Landtagswahlen viermal als Verlierer dastehen und sollte sich, wofür einiges spricht, die Selbstgewissheit von Olaf Scholz, das Wahlwunder von 2021 werde sich 2025 schon wiederholen, dann nicht auf die Genossen übertragen haben, wird der eine oder andere Abgeordnete Anfang 2025 zu rechnen anfangen: Ein nach dem Verfassungsgerichtsurteil verkleinerter Bundestag plus schlechte Umfragewerte der SPD plus ein unbeliebter Olaf Scholz ergeben unterm Strich keinen Sitz für mich! Der Einzige, der mich jetzt noch retten kann, ist der Mann an der Spitze der Beliebtheitsskala. Mir doch egal, wofür er steht. Hauptsache, er rettet mich. Das einzige Problem dabei wäre: Wer sagt’s dem Olaf?

Als Kevin Kühnert Ende April die Europawahl-Kampagne in dem Moabiter Kino vorstellt, hängt neben dem Filmplakat von Das Gespenst der Freiheit ein weiteres. Es wirbt für einen Konzertfilm der legendären Talking Heads. Sein Titel fasst die aktuelle Lage der SPD ganz gut zusammen: Stop Making Sense.
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