Berlins Innensenatorin Iris Spranger und die rassistische Polizei
Zitat:
„Ich kann mir das nicht mehr anhören!“: Beim Rassismusvorwurf gegen die Polizei platzt Berlins Innensenatorin der Kragen
Als es im Parlament um Rassismus geht, grätscht Berlins Innensenatorin Spranger (SPD) rüde rein. Sie verteidigt in einer Wutrede die Polizei und kritisiert Linke und Grüne.
Von Alexander Fröhlich
17.10.2022, 14:21 Uhr
Selten war Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) so hochemotional zu erleben. Am Montag legte sie im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses einen energischen Auftritt hin – der Risse in der rot-grün-roten Koalition bei der Innenpolitik offenbart hat. Dabei verteidigte Spranger die Polizei gegen den Rassismusvorwurf und beklagte zugleich Rassismus gegenüber Polizisten mit Migrationshintergrund.
Anlass waren Äußerungen des Linke-Abgeordneten Ferat Kocak in einer Debatte um eine kürzlich vorgestellte wissenschaftliche Studie zu Rassismus bei der Berliner Polizei. Die Wissenschaftler der Technischen Universität (TU) stellten keinen strukturellen Rassismus und auch keine rassistischen Kontrollen fest, sie forderten aber mehr Offenheit, Sensibilität und Fortbildungen für das Thema bei der Polizei.
Kocak hatte sich nach der Abgeordnetenhauswahl 2021 im Innenausschuss damit vorgestellt, dass er für „Defund and Abolish the Police“ stehe – für eine antirassistische Bewegung mit Ursprung in den USA also, die der Polizei Geld entziehen oder sie gleich ganz abschaffen will.
Am Montag beklagte sich Kocak im Ausschuss über das Machtgefälle zwischen Bürgern und Polizisten, zumal letztere sogar eine Schusswaffe tragen. Und er fragte SPD-Fraktionsvize Tom Schreiber, was er meine, wenn er von Rassismus gegen die Polizei rede. Dann ergriff Innensenatorin Spranger das Wort.
„Entschuldigung, wenn ich jetzt ein bisschen emotional werde. Aber ich kann es mir nicht mehr anhören! Deshalb bin ich jetzt reingegrätscht“, sagte sie. „Ich bin sauer darüber, wenn immer wieder Kollegen angegriffen werden und dann im Gegenzug behauptet wird, es ist Rassismus auf breiter Reihe.“
Auch ihre Koalitionspartner von Linke und Grüne und deren Verhältnis zur Polizei nahm Spranger ins Visier. „Wir haben den größten Teil der Kollegen bei Polizei und Feuerwehr, die arbeiten sehr, sehr ordentlich. Um das ganz deutlich hier zu sagen.“ Die Opposition applaudierte, ebenso SPD-Fraktionsvize Tom Schreiber, Spranger legte nach: „Und da könnte meine Koalition auch mal mitklatschen und nicht nur die Opposition, darüber bin ich auch entsetzt.“
Mit Blick auf die Polizisten sagte Spranger: „Rassismus erlebt auch die Polizei, jeden Tag.“ Die Polizei habe inzwischen „über 30 Prozent Migrationsanteil“. Damit bezog sie sich wohl auf jüngere Jahrgänge und nicht auf die gesamte Behörde mit 19.000 Polizeibeamten. Spranger lud Kocak dazu ein, nachts zu Polizeieinsätzen mitzufahren, um das selbst zu erleben.
Spranger forderte mehr Bodycams
Und sie forderte Grüne und Linke auf, sich nicht weiter gegen den allgemeinen Einsatz sogenannter Bodycams von Polizisten zu sträuben. „Wir haben 300 Bodycams, die bis Ende des Jahres kommen. Dann lassen Sie uns doch mehr als 300 Bodycams einsetzen. Ich kaufe sofort noch mehr als die 300 Bodycams. Wir wollen Transparenz der polizeilichen Arbeit, sowohl für die eine Seite wie für die andere. Dann machen Sie es doch mit mir zusammen“, sagte Spranger zu ihren Koalitionspartnern. *Die Koalition könne in den Haushaltsberatungen vorangehen.
Bisher laufen dazu auf Druck von Linke und Grüne in Berlin nur Versuche mit Kameras an der Uniform weniger Polizisten. „Sie können sich an die Spitze der Bewegung setzen“, sagte Spranger zu Kocak. Bodycams führten zu mehr Transparenz bei der Polizeiarbeit – für alle Seiten, Polizisten und Betroffene.
Der Grüne-Innenpolitiker Vasili Franco und der Linke-Abgeordnete Niklas Schrader erwiderten, es gehe nicht um einen pauschalen Rassismusvorwurf an die Polizei, sondern um rassistische Vorfälle und Behandlungen durch Polizisten, die leider immer wieder vorkämen. Es gebe daher keinen Grund, „bei einigen die Sicherung durchbrennen zu lassen“, sagte Schrader, ohne Spranger direkt zu erwähnen.
Kocaks Rede könne kein Grund sein „für solch einen Wutanfall“. Sprangers Rede sei „unangemessen und einfach daneben“, sagte Schrader. Angriffe auf die Polizei als Rassismus zu bewerten sei absurd. Franco erklärte: „Rassismus gegen die Institution Polizei gibt es nicht.“
FDP-Innenexperte Björn Jotzo sagte: „Ich finde es gut, dass die Senatorin mal auf den Tisch haut und die Linke in die Schranken gewiesen hat.“ Die Studie zur Polizei habe gezeigt, „dass am Vorwurf, es herrsche in der Berliner Polizei ein besonderer strukturelle Rassismus, nichts dran ist“, sagte Jotzo. „Mit ihrer Wutrede dürfte Frau Spranger den Bediensteten der Berliner Polizei aus der Seele gesprochen haben.“
CDU-Innenexperte Frank Balzer befand, dass Sprangers Wutausbruch gegen Grüne und Linke „wegen mangelndem Respekt“ gegenüber der Polizei „den katastrophalen Zustand dieser Koalition“ zeigt. „Dieser offene Streit auf dem Rücken unserer Polizei ist unerträglich..“ Spranger dürfe für die Sicherheit der Berliner keine Rücksicht nehmen auf „hoffnungslos zerstrittene Koalitionspartner“.
Bei einer Aussprache über die Polizei-Rassimusstudie gerät Iris Spranger (SPD) besonders gegen den Linkenpolitiker Ferat Kocak (Linke) in Rage.
BERLIN taz | Bis zu dem Zeitpunkt, als Innensenatorin Iris Spranger (SPD) die Fassung verlor, war es eine ausgesprochen sachliche Diskussion. Auf der Tagesordnung des Innenausschusses stand am Montag eine Aussprache*über die sogenannte Rasssimus-Studie über die Polizei Berlin (taz berichtete). Mit Ausnahme der AfD zeigte sich sowohl die Opposition als auch die Regierungskoalition mit der von einem Wissenschaftlerteam der TU durchgeführten qualitativen Untersuchung zufrieden. Angesichts der heftigen Diskussionen, die über die Studie im Vorfeld geführt wurden, ist das bemerkenswert.
Die Untersuchung war unter Federführung der Soziologin Christiane Howe erfolgt. Am Montag stellte diese eine Zusammenfassung im Innenausschuss vor. Das Problem ist: Aus den 141 Seiten kann sich jeder seinen eigenen Reim machen.
Fast alle sind zufrieden
FDP und CDU lesen heraus, dass es bei der Berliner Polizei kein strukturelles Rassismusproblem gibt, und sehen das als Bestätigung, weil sie das schon immer gesagt haben.
Grüne und Linke wiederrum sind zufrieden, weil Howe und ihre Leute von einem Alltagsrassismus in unserer Gesellschaft ausgehen, in den alle und somit auch die Polizei eingebunden sind. Nur dass die Polizei als Behörde mit dem Gewaltmonopol eine noch größere Verantwortung hat, sich dem zu stellen. „Wenn wir von strukturellem Rasssismus reden, meinen wir genau das“, sagte die Grünen Abgeordnete Tuba Bozkurt am Montag.
Irgendwann im Lauf der Diskussion ergriff auch der Linken-Abgeordnete Ferat Kocak das Wort. Kocak gehört zu den Opfern der rechtsextremistischen Anschlagsserie in Neukölln, bei deren Aufklärung die Polizei – vorsichtig gesagt – geschlampt hat.
Kocak wird seither nicht müde zu beklagen, dass die Polizei ein rechtsextremistisches Problem habe. Der Linken-Politiker war auch derjenige, der unlängst einen*Filmmitschnitt von einem übergriffigen Polizeieinsatz in der Wohnung eines syrischen Ehepaars*ins Netz gestellt hatte. Sogar Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) hatte das Video mit den Worten kommentiert, der darin gezeigte Beamte verhalte sich „fremdenfeindlich“. So einen Polizeibeamten, so Akmann wörtlich „wollen wir nicht“.
All das mag am Montag zu dem emotionalen Ausbruch der Innensenatorin beigetragen haben. Kocak selbst hatte zuvor lediglich sachlich festgestellt: „Ich finde, dass die Studie deutlich macht, dass es bei der Polizei ein Riesenrassismusproblem gibt.“
Die rot lackierte Rechte um die Lautsprecherbox gekrallt, mit der Linken aufgebracht wedelnd brach Spranger eine Lanze für die Sicherheitskräfte. „Ich bin sauer“ rief sie, „wenn die Kollegen angriffen werden und dann immer von Rassismus die Rede ist“. Der größte Teil der Kollegen bei Polizei und Feuerwehr arbeite „sehr, sehr ordentlich, um das ganz deutlich hier zu sagen“. Und – als einige Abgeordnete Beifall klatschten: „Da könnte meine Koalition auch mal mitklatschen und nicht nur die Opposition, darüber bin ich auch entsetzt“. Mit Blick auf das von Kocak veröffentliche Video sagte sie: Ein einzelner Ausschnitt lasse keine Bewertung eines Gesamteinsatzes zu.
Kocaks Äußerungen seien kein Grund, „bei einigen die Sicherung durchbrennen zu lassen“, befand dessen Parteifreund Niklas Schrader im Ausschuss. Es gehe nicht um einen pauschalen Rassismusvorwurf, sondern um rassistische Vorfälle durch Polizisten, die leider immer wieder vorkämen.