[Draalz]

Supraleiter-Hype

Wartet nicht auf Wunder

Eine Kolumne von [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]

Ein paar Wochen lang hielt ein Forscherteam aus Südkorea nicht nur die Welt der Materialphysik in Atem. Hatte man einen neuen Supraleiter entdeckt, ein Wundermaterial, das die Menschheit retten könnte? Der Hype sagt viel über unsere Zeit.

20.08.2023, 18.47 Uhr


Magische Substanz: Magnet in der Schwebe über einem Supraleiter Foto: Science Photo Library / IMAGO

In James Camerons erstem »Avatar«-Film von 2010 geht es um ein nahezu magisches Material, das bei Raumtemperatur schweben kann und vermutlich supraleitend sein soll. Es heißt im Film »Unobtainium«, was man mit »nicht verfügbares Element« übersetzen könnte.

»Unobtainium« haben [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], das man wirklich dringend bräuchte, aber leider nicht bekommen kann, schon in den Fünfzigern genannt. Damals ging es um die Konstruktion eines Raumgleiters. Seitdem taucht das Scherzwort immer wieder mal auf, wenn es um eine sehr begehrenswerte, aber leider nicht greifbare Supersubstanz geht.

Das wichtigste Unobtainium der Gegenwart sind Supraleiter, die bei Raumtemperatur und halbwegs normalen Druckverhältnissen ihre speziellen Eigenschaften behalten. Supraleiter existieren wirklich, sie leiten Elektrizität fast ohne Widerstand und wären für eine Vielzahl von Anwendungen sehr nützlich. Bislang gibt es aber nur Substanzen, die diese wundersamen Eigenschaften bei e><trem niedrigen Temperaturen und, je nach Material, zusätzlich auch noch e><trem hohem Druck entfalten.

Unobtanium aus einem koreanischen Labor?

Supraleiter, die auch bei Raumtemperatur und ohne gigantischen Druck funktionieren, könnten »die Energieindustrie revolutionieren, Verschwendung reduzieren, Kosten senken und dabei helfen, die globale Erwärmung zu beschränken«, [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Außerdem wären solche Supraleiter sehr nützlich für die [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] und [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Sogar Fusionsreaktoren könnten sie unter Umständen möglich machen.

Anfang August sah es noch so aus, als ob jemand womöglich so ein Unobtainium endlich verfügbar gemacht hätte. Koreanische Wissenschaftler hatten gleich zwei Vorabveröffentlichungen, also noch nicht peer reviewte Artikel, produziert, in denen sie einen Supraleiter [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], der »bei Raumtemperatur schweben« könne. Ein [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], das ein Stückchen des Materials zeigen sollte, das über einem Magneten in der Luft zu hängen scheint, wurde zu einem viralen Social-Media-Phänomen.

In dem Clip ist eine ungeschützte Hand zu sehen, die das in der Luft herumwackelnde Stückchen Material mit einem Stift herumschiebt, augenscheinlich also ohne ultratiefe Temperaturen und mörderischen Druck. Die vermeintliche Wundermeldung schien eine Welt zu versprechen, in der Magnetschwebezüge allgegenwärtig, Computer noch viel schneller und die Energieversorgung ein Kinderspiel sein würden.

Hoffen auf ein Wunder

Fachleute für Physik und Materialforschung spekulierten öffentlich, ob das nun stimmen könne oder nicht. Manche waren leise hoffnungsvoll, andere fanden schon das Verhalten des Materials in dem kurzen Videoschnipsel verdächtig: Das Materialscheibchen schien an einer Ecke noch auf dem Magneten aufzuliegen. Eine Diskussion über Materialforschung hatte plötzlich ein globales Millionenpublikum. Die Welt hoffte auf ein Wunder, ein Autor erfand für den »Atlantic« ein neues Wort für die sozial-mediale Begeisterungs- und Faszinationswelle: »[ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]« statt »Doomscrolling«.

[b]Populärer als Margot Robbie und Cillian Murphy

Der englischsprachige Wikipediaeintrag zu dem neuen Material mit dem Namen LK-99 schaffte es auf [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] in der Online-Enzyklopädie. In den Top 25 findet man sonst eher Themen wie aktuelle Filme, gerade im Kino zu sehende oder aber kürzlich verstorbene Stars. LK-99 aber schlug in dieser Woche in den Wikipedia-Charts sogar die Stars von »Barbie« und »Oppenheimer«.

Einige südkoreanische Aktien erlebten gewaltigen Wertzuwachs. Anteile des auf Supraleiter spezialisierten Unternehmens Sunam etwa vervierfachten ihren Wert vom 26. Juli bis zum 7. August.

Und dann der Absturz

Mittlerweile sind die Sunam-Aktien und die anderer koreanischer Firmen [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Die südkoreanische Universität, an der die vermeintlichen Unobtainium-Erfinder arbeiten, hat eine [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Am 8. August ließ das »Condensed Matter Theory Center« der University of Maryland [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]: »Mit großer Traurigkeit müssen wir feststellen, dass das Spiel aus ist.« LK-99 sei »kein Supraleiter«, sondern ein Material mit hohem elektrischem Widerstand und »von minderer Qualität«.

Acht Tage später fasste »Nature« die in Windeseile publizierten Replikationsversuche [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]: »LK-99 ist kein Supraleiter.« Tatsächlich scheint das Material eher isolierend als leitend zu wirken. Eine Materialphysikerin von der University of Illinois [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]: Ganz beerdigt sei die Hoffnung noch nicht, aber »der Sarg steht da, die Nägel liegen bereit und der Hammer auch.«

Gefälschte Daten?

Leider setzt sich mit dem steilen Aufstieg und schnellen Absturz von LK-99 eine Serie fort, die dieses Forschungsgebiet schon länger plagt. Das Team eines Forschers von der University of Rochester im US-Staat New York musste gerade ein kürzlich in »Physical Review Letters« erschienenes Paper [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Es ist bereits die [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] einer [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ]. Im einen Fall geht es um den Verdacht gefälschter Daten, im anderen um die [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] der in der Arbeit präsentierten Daten.

Beunruhigend ist das nicht zuletzt deshalb, weil das gleiche Team im März in »Nature« [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ], das angeblich unter weniger e><tremen Bedingungen als sonst erforderlich supraleitende Eigenschaften aufweisen soll. Dieser Artikel ist weiterhin öffentlich und nicht zurückgenommen. Vermutlich aber werden alle Arbeiten des Teams von Ranga P. Dias, der vorübergehend zu einem Star der Supraleiter-Szene aufgestiegen war, jetzt sehr sorgfältig geprüft werden.

[b]»Plötzlich populär«

Es sieht aus, als müsse die Welt vorerst weiterhin auf das Unobtanium warten. Die Begeisterung, die die vermeintliche Entdeckung in Südkorea weltweit ausgelöst hat, zeigt deutlich, wie groß die Hoffnung auf ein Wundermittel ist, mit dem sich die Menschheit aus dem selbst gemachten Klimasumpf ziehen kann.

Wer auch immer den Twitter/X-Account des »Condensed Matter Theory Center« der University of Maryland bedient, wunderte sich öffentlich, »warum dieses Thema plötzlich so populär geworden ist«. Dabei liegt die Erklärung auf der Hand: Vielen Menschen rund um den Globus ist klar, dass die Welt in eine vom Menschen verursachte Klimakatastrophe hineinstolpert.

Eine magische Lösung, ein Wundermaterial, käme da gerade Recht. Die Fachleute aus Maryland sagen: »Wir sagen voraus, dass es eines Tages in der Zukunft einen Supraleiter bei Raumtemperatur geben wird, in Form eines unerwarteten Materials, an das noch niemand gedacht hatte.« Auch die Fachleute hören nicht auf, ans Unobtainium zu glauben.

Dagegen ist auch nichts zu sagen. Aber es ist definitiv nicht sinnvoll, sich darauf zu verlassen. So groß die Sehnsucht nach einem Wunder, das uns rettet, auch sein mag: Wir kommen nicht darum herum, unsere Probleme mit der Technologie anzugehen, die uns schon zur Verfügung steht.

Und das ist durchaus möglich – wir müssen nur schneller werden. Auf Wunder zu warten, haben wir keine Zeit.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben einen Satz über die Notwendigkeit von niedrigen Temperaturen und hohem Druck für Supraleiter in der obigen Kolumne um den Hinweis ergänzt, dass die Rolle dieser Faktoren materialabhängig ist.

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Ich finde so etwas immer wieder enttäuschend. Wissenschaft sollte eigentlich rational und nicht populär betrieben werden.