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Silent Running
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Politik in der Coronakrise - Das Ende des Sachzwangs
Zitat:
Politik in der Coronakrise
Das Ende des Sachzwangs
Ein Kommentar von Andreas Wassermann

Die Coronakrise zeigt, wie schnell und entschlossen Politiker unter Druck entscheiden können. Daran sollten wir uns erinnern, wenn sie künftig aus vorgeschobenen Gründen Reformen blockieren.
17.04.2020, 17:30 Uhr

Kanzlerin Merkel, Vizekanzler Scholz, Länderchefs Söder und Tschentscher: Politik darf nicht vor angeblichen Sachzwängen kapitulieren
Bernd von Jutrczenka/ AFP
Mancher mag sich verwundert die Augen gerieben haben, andere wiederum haben womöglich anerkennend mit der Zunge geschnalzt. Wie fix Politiker doch reagieren können, wenn die Krise groß, unerwartet und mehr oder minder in ihrer Tragweite unvorhersehbar ist.
Corona hat jetzt schon gezeigt, dass selbst die oft zaudernde und bedenkenträgerische politische Klasse der Republik schnell und beherzt entscheiden kann. Sogar dann, wenn solche Entscheidungen zumindest temporär an den Grundfesten unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung rütteln.
Quasi über Nacht drosselte die Große Koalition in Berlin den analogen Konsum und die Mobilität. Außer Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Alkohol und Baumaterialien gibt es fast alles andere nur noch im Internet zu kaufen. Flughäfen sind weitgehend außer Betrieb, Züge leer, Produktionsbänder stehen still. Die Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Pandemie haben unsere kurz getaktete Konsumgesellschaft entschleunigt, und damit auch die Akkumulation von Kapital.
Vor einem Jahrzehnt hat eine anonyme Gruppe französischer Philosophiestudenten, die sich das "Unsichtbare Komitee" nannten, ein Manifest verfasst mit dem Titel: "Der künftige Aufstand". Es ging darin um die Überwindung des Kapitalismus, in dem er zwangsweise entschleunigt wird, durch Sabotageakte, mit denen Zugverbindungen oder Datennetze unterbrochen werden.
Sicher, nicht nur die Methoden, auch die Motive der Regierenden sind ganz andere als die libertärer Anarchisten. Bei den Instrumenten, die in den Kapitalismus eingreifen, handelt es sich schließlich um Notmaßnahmen, die bestehende Strukturen und Machtverhältnisse retten und nicht transformieren wollen. Außerdem geht es um Menschen und Menschenleben. Möglichst wenige sollen an dem Virus sterben, was bisher hierzulande ja auch gelingt.
Dennoch ist erstaunlich, welche geringe Rolle in der Coronakrise die sogenannten Sachzwänge spielen, die in epidemiefreien Zeiten gern dann ins Feld geführt werden, wenn Politiker Politik für die Gesellschaft machen und nicht nur Standortbedingungen, Marktfähigkeit und Profitraten verbessern wollen.
Man stelle sich ähnlich konsequente Maßnahmen zum Klimaschutz vor oder um die Schere zwischen Arm und Reich um ein paar Grad zu schließen. Solche Vorhaben werden in der Regel recht schnell von Lobbyisten verwässert und von Interessenvertretern in Behördenmühlen zermahlen, bis sie kaum noch wahrnehmbar sind. Der Sachzwang hat Politik oft eingeschnürt. Beim Tempolimit auf Autobahnen zum Beispiel, der Bürgerversicherung oder dem bedingungslosen Grundeinkommen.
Aber zeigt Corona nicht auch, dass dieser vermeintliche Sachzwang oft nur vorgeschoben ist, um politische Ideen gar nicht erst umsetzen zu müssen? Weil es bequemer ist, so Konflikten von vornherein aus dem Weg zu gehen - zum Beispiel in der zentralen Frage: Wie organisiert sich eine Gesellschaft?
Wer hätte jemals gedacht, dass die schwarze Null so schnell zur Makulatur wird? Dass Verschuldung der öffentlichen Haushalte, seit Jahren trotz Nullzinsen parteiübergreifend verteufelt, ganz selbstverständlich wieder als politisches Gestaltungsinstrument begriffen wird?
Die Folgen von Corona werden in der Gesellschaft noch nachwirken, wenn das Virus bereits eingehegt ist. Diese Auswirkungen lassen sich aber nur sozial und kulturell verträglich in den Griff bekommen, wenn Politik nicht vor angeblichen Sachzwängen kapituliert. Mehr noch: Politiker sollten die Chance des Umbruchs nutzen von einer durchökonomisierten Wachstumsgesellschaft zu einer "pandemischen Risikogesellschaft".
Der Begriff stammt aus einem Aufsatz des Kassler Politikprofessors Wolfgang Schroeder und seinem Berliner Ökonomiekollegen Günther Schmid für den "Tagesspiegel". Die beiden Wissenschaftler charakterisieren diese Gesellschaft als langsamer, regionaler und wohl auch weniger prosperierend. Das Gesundheitssystem wird eine zentrale Bedeutung bekommen, dort müssen die Beschäftigten deutlich höher bezahlt und die Arbeitsbedingungen verbessert werden.
Auch die Absicherung gegen Arbeitslosigkeit, sagen die Wissenschaftler, sollte generell neu gedacht werden. Sie sprechen von einer atmenden Arbeitslosenversicherung, die mischfinanziert wäre, sowohl aus Beiträgen als auch aus Steuern, die Leistungen flexibel gewährt und Freiberufler und Selbstständige mit einschließt. Und sie sollte europäisch sein: "Die pandemische Risikogesellschaft erfordert einen neuen Sozialvertrag; und dieser kann nicht nur auf dem Prinzip des Nationalstaats beruhen", schreiben die Wissenschaftler.
Vor allem erfordert die pandemische Risikogesellschaft Politiker, die Bürger nicht in erster Linie als Konsumenten, Produzenten und Arbeitskräfte sehen. Die politische Prioritäten neu setzen. Es könnte auch eine Chance für die Sozialdemokratie oder eine demokratische Linke sein. Sandro Mezzadra, Politikprofessor aus Bologna, schrieb aus seiner Corona-Quarantäne: "Der Kapitalismus wird die Epidemie überstehen, aber er wird sich grundlegend von dem unterscheiden, was wir aus den letzten Jahren kennen."
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Quelle:
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Die folgenden 3 Mitglieder haben sich bei pauli8 bedankt:
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18.04.20, 10:25
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#2
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Banned
Registriert seit: Jul 2019
Beiträge: 2.614
Bedankt: 2.405
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Die Autoren solcher (sämtlicher) Kolumnen verkennen leider dass wir uns erst am Anfang der Pandemie befinden.
Zitat:
Die Coronakrise zeigt, wie schnell und entschlossen Politiker unter Druck entscheiden können.
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Unter schnell und entschlossen mag jeder etwas anderes verstehen aber zu Corona wurde zu lange gewartet. Die Gründe habe ich bereits mehrfach an anderer Stelle genannt.
Jetzt ist es leider immer noch so dass jedes Bundesland sein eigenes Ding durchziehen kann. Lockerung wird so oft in den Mund genommen als wären wir schon kurz vor Ende der Pandemie. Die Menschen nehmen die Bedrohung durch das Virus auch immer weniger ernst. Leider habe ich dadurch schon unschöne Dinge erlebt die letzten Tage. Von Seiten der Politik wird sich von paar Wochen zu paar Wochen durchgehangelt ohne dass es klare Anweisungen gibt. Warum ziehen die Bundesländer nicht endlich an einem Strang? Wie soll man denn bei den ganzen verschiedenen Anweisungen die teilweise auch so schwammig formuliert sind denn überhaupt noch durchblicken?
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Folgendes Mitglied bedankte sich bei Kirkwscks4eva:
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18.04.20, 12:31
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#3
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Banned
Registriert seit: Feb 2010
Beiträge: 394
Bedankt: 518
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Zitat:
Zitat von Kirkwscks4eva
Jetzt ist es leider immer noch so dass jedes Bundesland sein eigenes Ding durchziehen kann. Lockerung wird so oft in den Mund genommen als wären wir schon kurz vor Ende der Pandemie. Die Menschen nehmen die Bedrohung durch das Virus auch immer weniger ernst. Leider habe ich dadurch schon unschöne Dinge erlebt die letzten Tage. Von Seiten der Politik wird sich von paar Wochen zu paar Wochen durchgehangelt ohne dass es klare Anweisungen gibt. Warum ziehen die Bundesländer nicht endlich an einem Strang? Wie soll man denn bei den ganzen verschiedenen Anweisungen die teilweise auch so schwammig formuliert sind denn überhaupt noch durchblicken?
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Dank Föderalismus ist der Bund oft nicht zielgerichtet handlungsfähig. Aber selbst wenn die Bundesregierung könnte, der Ablauf wäre nicht besser. Unsere Politikerprominenz ist leider nicht kompetent genug, Krisen anzugehen. Sei es aus Mangel an Erfahrung, nicht vorhandenem Wissen oder schlicht Ignoranz gegenüber Ländern, die sowas können (Süd Korea beispielsweise).
Aber es ist an sich egal. Gleich wird vermutlich eine erklären, wie toll die Regierung das doch macht, [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] und man ja nur meckert und selbst nichts ändert. Man möge es besser machen.
Und diese Person wird vermutlich Recht haben. Denn die [ Link nur für registrierte Mitglieder sichtbar. Bitte einloggen oder neu registrieren ] wächst
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18.04.20, 12:45
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#4
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Profi
Registriert seit: Jun 2010
Beiträge: 1.419
Bedankt: 1.860
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Zitat:
Dennoch ist erstaunlich, welche geringe Rolle in der Coronakrise die sogenannten Sachzwänge spielen, die in epidemiefreien Zeiten gern dann ins Feld geführt werden, wenn Politiker Politik für die Gesellschaft machen und nicht nur Standortbedingungen, Marktfähigkeit und Profitraten verbessern wollen.
Man stelle sich ähnlich konsequente Maßnahmen zum Klimaschutz vor oder um die Schere zwischen Arm und Reich um ein paar Grad zu schließen. Solche Vorhaben werden in der Regel recht schnell von Lobbyisten verwässert und von Interessenvertretern in Behördenmühlen zermahlen, bis sie kaum noch wahrnehmbar sind. Der Sachzwang hat Politik oft eingeschnürt. Beim Tempolimit auf Autobahnen zum Beispiel, der Bürgerversicherung oder dem bedingungslosen Grundeinkommen.
Aber zeigt Corona nicht auch, dass dieser vermeintliche Sachzwang oft nur vorgeschoben ist, um politische Ideen gar nicht erst umsetzen zu müssen? Weil es bequemer ist, so Konflikten von vornherein aus dem Weg zu gehen - zum Beispiel in der zentralen Frage: Wie organisiert sich eine Gesellschaft?
Wer hätte jemals gedacht, dass die schwarze Null so schnell zur Makulatur wird? Dass Verschuldung der öffentlichen Haushalte, seit Jahren trotz Nullzinsen parteiübergreifend verteufelt, ganz selbstverständlich wieder als politisches Gestaltungsinstrument begriffen wird?
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Der Artikel möchte aufzeigen, dass es möglich ist, relativ schnell und über "Üblichkeiten" hinaus, einen neun Kurs zu fahren. Und fragt, warum das bei anderen Themen nicht geht. Eine sehr berechtigte Frage!*
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Die folgenden 3 Mitglieder haben sich bei betaalpha bedankt:
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