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09.09.25, 13:44
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Süchtiger
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Corona-Enquetekommission: Die Alibi-Aufarbeitung
Andreas Rosenfelder - Chefkommentator und Ressortleiter Meinungsfreiheit
09.09.2025
Zitat:
Schon bevor die Kommission zur „Aufarbeitung der Corona-Pandemie“ ihre Arbeit aufnimmt, fordert sie ganz viel Verständnis für die Politik. Offenbar hat die Koalition nicht verstanden, wie nachhaltig damals das Vertrauen der Bürger in den Staat zerstört wurde.
Ein einziger Satz macht klar, dass es in Deutschland keine ernsthafte Corona-Aufarbeitung geben wird. Wie eine Präambel schwebt er über der Gründung der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Corona-Pandemie und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse“ im Bundestag. „Gerade im internationalen Vergleich kann man konstatieren, dass Deutschland gut durch diese Krise gekommen ist“, sagte Franziska Hoppermann (CDU), Vorsitzende der Kommission. Und auch Julia Klöckner (CDU), die Bundestagspräsidentin, rezitierte das deutsche Corona-Mantra: „Es stimmt, dass Deutschland vergleichsweise gut durch diese Zeit gekommen ist.“
Sind wir gut durch die Pandemie gekommen? Wer so redet, der hat den Bruch, den die Corona-Zeit für die politische Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bedeutet, nicht ansatzweise verstanden. Die Leerformel, die sich in der politischen Debatte längst verselbständigt hat, vernichtet schon im Vorfeld jede Hoffnung, dass von der Kommission mehr als kosmetische und technische Optimierungsvorschläge zu erwarten sind, wie sie in Hoppermanns Wunsch anklingen, „dass wir für zukünftige Situationen besser gewappnet sind“.
Noch besser als letztes Mal? Sorry, aber genau das ist die falsche Zielsetzung. Eine echte Corona-Aufarbeitung dient nicht dazu, für die Zukunft noch wirkungsvollere Maßnahmen der Pandemiebekämpfung zu identifizieren. Sie muss im Gegenteil mit dem Eingeständnis beginnen, dass es ein schwerwiegender und folgenreicher Fehler war, demokratische Politik im Zeichen von Corona flächendeckend durch Sozialtechnologie zu ersetzen. Der Bürger war plötzlich nicht mehr selbstbestimmtes und souveränes Subjekt, sondern Objekt von mehr oder weniger geeigneten Maßnahmen – und Gegenstand mehr oder weniger scharfer Maßregelungen, falls er sich nicht fügen mochte.
Mit diesem Ansatz, der dem Wesen einer liberalen Demokratie widerspricht, wurden schon in den ersten Wochen der Pandemie die Weichen gestellt für eine autoritäre Politik im Namen der vermeintlich richtigen Sache: ein Paradigmenwechsel, der weit über das Ende der Corona-Zeit hinausreicht und sich heute noch äußert. Etwa dann, wenn Regierungskritik, die auch in ihren schärferen Spielarten vom Geist einer freiheitlichen Grundordnung geschützt ist, plötzlich als „verfassungsfeindlich“ eingestuft und verfolgt wird.
Corona war die Urszene des großen Misstrauens, das heute das wechselseitige Verhältnis von Staat und Gesellschaft prägt. Viele Wähler haben die traumatisierende Erfahrung nicht vergessen, dass der Staat – wie der Philosoph Peter Sloterdijk es formulierte – im Zweifel „seine Samthandschuhe abstreift“ und mit einer Brutalität durchgreift, die man vorher nur totalitären Systemen wie China zutraute. Die Erfolge der AfD, insbesondere in Ostdeutschland, sind nicht zuletzt auch Protestreaktionen der Bürger auf diesen entmündigenden und übergriffigen Politikstil.
Immerhin, Julia Klöckner spricht aus, dass die Pandemie „Wunden hinterlassen“ und „Menschen von der Politik entfremdet“ hat. Sie fordert eine „gründliche“ und „selbstkritische“ Aufarbeitung. Doch dass gründliche Selbstkritik nicht vorgesehen ist, zeigt schon die Wahl des Instruments, auf welches sich die CDU-SPD-Koalition verständigt hat – eine Enquete-Kommission statt einem Untersuchungssauschuss. Letzterer könnte mit den Mitteln eines juristischen Verfahrens Licht ins Dunkel jener Entscheidungen bringen, die oftmals von Gremien und Experten fragwürdiger Legitimation hinter den Kulissen des Parlamentarismus getroffen wurden – und Deutschland gespalten und verändert haben.
„Nicht verurteilen, sondern verstehen“: Diese Devise gab Hoppemann im Vorfeld aus. Das klingt gut, ist aber ein merkwürdiger Schonungsanspruch für eine Politik, die in der Pandemie selbst keinerlei Hemmungen hatte, das vermeintliche Fehlverhalten „egoistischer“ Bürger aufs Schärfste zu verurteilen, etwa wenn Eltern mit ihren Kindern im Winter an der frischen Luft Schlitten fahren wollten – ganz zu schweigen von der an Hetze grenzenden Behandlung der „Ungeimpften“ oder „Impfgegner“, die damals auch von vermeintlich zivilisierten Politikern so behandelt wurden, als hätten Sie durch ihr Beharren auf körperlicher Selbstbestimmung ihre Menschenrechte verwirkt.
Auch juristisch wurden zahlreiche Bürger zur Rechenschaft gezogen und abgeurteilt – für die Verletzung der Ausgangssperre, Verstöße gegen die Maskenpflicht oder die Missachtung von Kontaktbeschränkungen. Dass Tausenden von Bürgern furchtbarste und niemals wiedergutzumachende Gewalt angetan wurde, weil man sie in Krankenhäusern alleine sterben oder in Altersheimen isoliert vegetieren ließ und ihren Liebsten zugleich die Möglichkeit menschlicher Anteilnahme raubte, berührt den heiligsten Kern der in Artikel 1 des Grundgesetzes garantierten Menschenwürde. Ein Staat, der solche Entscheidungen trifft, muss sich dem kritischen Urteil stellen und kann keinesfalls nur Verständnis einklagen.
Genau das aber scheint die Marschroute für die Enquetekommission zu sein. So forderte Klöckner die „Fairness, nicht mit heutigem Wissen damaliges Handeln einseitiges zu beurteilen“, und wies darauf hin, das damalige Regierungshandeln sei „geprägt von den Informationen, die man zur damaligen Zeit hatte“. Auch dies sind Rechtfertigungsformeln, die seit dem Ende der Pandemie zum politischen Phrasenschatz gehören – und eine Aufklärung verhindern, statt sie zu ermöglichen.
Denn in Wirklichkeit gab es in buchstäblich jeder Phase der Pandemie epidemiologische und psychologische, aber auch juristische und politische Argumente gegen einzelne Maßnahmen, von den Schulschließungen und der FFP2-Maskenpflicht bis hin zu den 2G- und 3G-Regeln und den Ausgangssperren.
Diese Zweifel, die sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse, auf Studien und empirische Daten stützten, wurden damals systematisch unterdrückt – was nicht nur, aber besonders deutlich die RKI-Protokolle dokumentieren. Man hatte sich für eine knallharte Linie entschieden – und blendete, wozu politische Systeme leider neigen, über Jahre hinweg alles aus, was dieser Linie widersprach. Dass es anders ging, zeigte von Anfang an das immer wieder verteufelte Schweden. Später schlugen immer mehr Nachbarländer einen liberalen Kurs ein, während Deutschland fast bis zum bitteren Ende an Schulschließungen festhielt und damit einer ganzen Generation schwere Schäden zufügte. Politiker der heutigen Regierungsparteien CDU und SPD spielten bei dieser ideologischen Fixierung eine tragende Rolle.
Diese Wahrheit einzugestehen und die Frage zu stellen, wie es zu dieser fatalen Verengung der Perspektive kommen konnte und wie man sie in Zukunft verhindern will – das wäre die Grundlage einer echten Aufarbeitung der Corona-Pandemie. Ihr Ergebnis könnte nach einem Prozess der schmerzhaften Auseinandersetzung vielleicht tatsächlich die von Klöckner geforderte „Versöhnung“ sein. Eine Politik aber, die sich in einer Alibi-Aufarbeitung lediglich mit ihren eigenen Fehlentscheidungen versöhnt, wird keinen verlorenen Bürger zurückgewinnen.
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